Es gibt Fragen zur Heldenreise, die werden mir in meinen Storytelling-Workshops immer wieder gestellt. Fragen zu Figuren, zum Ablauf, zu den Emotionen. Hier sind die Antworten.
1. Ist die Heldenreise wirklich ein zeitgemäßes Modell für Erzählungen?
Sie ist ein ewig aktuelles Modell. Das Wort „Held“ mag manchen abschrecken, vor allem die, die der Meinung sind, wir würden im postheroischen Zeitalter leben. Doch die Heldenreise erzählt davon, wie jemand wie du und ich zum Helden wird. Und zwar, indem sie oder er etwas für die Gemeinschaft erreicht und dabei über sich selbst hinauswächst.
2. Warum funktioniert die Heldenreise als Schema eigentlich so gut?
Weil sie ein Muster für Erzählungen nutzt, das in unser aller Gehirnen gespeichert es. Wir erkennen es sehr schnell, das gefällt uns. Es gibt uns die Möglichkeit, uns in Figuren einzufühlen, in fremde Welten abzutauchen und dabei zu lernen. Darin liegt ihr Wert.
3. Hat die Heldenreise eigentlich eine Dreiaktstruktur wie das klassische Drama?
Die hat sie. Die Schwellen markieren die Akte. Akt 2 beginnt mit der Überquerung der Schwelle in die fremde Welt. Akt 3 beginnt mit der Überquerung der Schwelle, die wieder in die vertraute Welt führt. Wer mit der Heldenreise arbeitet, der sollte diese 3 Teile – Einführung, Komplikation, Auflösung – immer im Auge behalten. Sie sind so etwas wie die übergeordnete Struktur der Heldenreise.
4. Muss ich immer alle 12 Stationen der Heldenreise verwenden?
Nein. Es kommt ganz auf die Story an und auf die Zeit, die zum Erzählen bleibt. Die Stationen lassen sich auf ein Minimum kürzen oder auch wiederholen. Viele Geschichten lassen zum Beispiel den Mentor aus oder vereinfachen die Rückkehr, sparen sich letzte Verwandlungen. Wichtig ist die zentrale Station Tod und Wiedergeburt. Hier ereignet sich – natürlich symbolisch – die Verwandlung des Helden.
5. Kann ich die Reihenfolge der Stationen ändern?
Sicher. Doch ich würde es nur erfahrenen Erzählern empfehlen. Gerade bei mündlich erzählten Storys verlieren die Zuhörer schnell den Überblick, wenn Rückblenden eingesetzt werden.
6. Wer sind die idealen Helden?
Von den Fragen zur Heldenreise ist das für mich die wichtigste. Die idealen Helden sind meiner Meinung nach Underdogs. Diejenigen, die die schlechtesten Karten zu haben scheinen. Frodo, der Hobbit, im Herrn der Ringe. David in der Bibel. Collegeabbrecher wie Steve Jobs oder Bill Gates, die sich hohe Ziele setzen. Helden haben 1000 Gesichter.
7. Wird es nicht langweilig, alle Storys nach Heldenreisenschema zu erzählen?
Nicht, wenn die Heldenreise kreativ genutzt wird. Gerade Hollywood zeigt uns, wie das möglich ist. Star Wars, Herr der Ringe, Pretty Woman und auch Filme wie The Big Lebowsky folgen ihrer Struktur. Ich zeige aber auch an Figuren aus dem öffentlichen Leben, wie gut die Heldenreise dazu taugt, eine Biographie zu erzählen, z.B. bei Greta Thunberg oder Steve Jobs. Einfach mal an der eigenen Biographie ausprobieren.
8. Muss die Geschichte immer dort enden, wo sie begann?
Das Schema der Heldenreise legt es nahe, doch darin sehe ich keinen Sinn. Natürlich gibt es Geschichten, die weiter führen. Sie beginnen in der vertrauten Welt, führen von dort in die fremde Welt und schließlich in eine neue Welt wie z.B. der Science-Fiction-Film Interstellar. Wichtig scheint mir, dass diese neue Welt schon zuvor eingeführt wird und eine zentrale Rolle im Kontext der Reise spielt. Obama oder Trump wollen Präsident werden – neue Welt. Elon Musk will Raketen bauen, mit denen wir zum Mars fliegen können oder die Autowelt elektrifizieren – beides neue Welten.
9. Funktioniert die Heldenreise auch mit Dingen, z.B. einem Produkt?
Ja und nein. Das ist eine der kniffligen Fragen zur Heldenreise. Erheblich faszinierender als ein Datenblatt ist die Reise des Produkts. Ich erzähle z.B. die Reise des Post-it und glaube, sie ist so viel spannender als eine simple Produktvorstellung. Dennoch: Ein Post-it hat keine Seele. Wir können nicht mit ihm fühlen. So fehlt ein wesentlicher Clou der Reise. Insofern sind Heldenreisen von Produkten immer nur zweitbeste Lösungen. Ich würde empfehlen, nach Menschen im Kontext der Produkte zu suchen, Entwickler, Promoter, Kunden etwa.
10. Funktioniert die Heldenreise auch mit Teams?
Es ist ähnlich wie mit den Dingen – ich kann mich zwar in Gruppen einfühlen, doch es ist schwer. Viel leichter fällt es, sich in einen Menschen einzufühlen. Allerdings: Im Verlauf der Heldenreise entsteht dann ja in den meisten Fällen eine Gruppe von Freunden und Mitstreitern und auch eine andere Gruppe von Gegenspielern.
Plus 1: Welche Station der Heldenreise ist die wichtigste?
Meiner Meinung nach ist es Station Nummer 8: Tod und Wiedergeburt. Warum? Weil diese im Kleinformat die gesamte Heldenreise enthält. Denn diese handelt von einem symbolischen Tod. Genau darum geht es: um eine radikale Verwandlung.
In einem anderen Blogpost erkläre ich die Public Narrative am Beispiel Barack Obamas. Die Geschichte, die Obama im Beispielvideo erzählt, folgt exakt der Struktur der Heldenreise. Worum geht es um Kern in Obamas Story? Es geht darum, dass jede Stimme zählt. Das Geniale an seiner Geschichte ist, dass, damit dies gilt, er in seiner Rolle als wichtigster Mann im Raum sterben muss, weil eine andere Stimme mehr Gewicht hat. Doch danach ist Obama selbst viel stärker, denn er gewinnt durch diese andere Stimme selbst viel mehr Macht.
Anderen eine Stimme zu geben, so die Logik, macht dich stark, viel stärker als du zu glauben gewagt hättest. Tod und Wiedergeburt sind zwei Seiten einer Medaille. Du kannst nur stärker werden, wenn du vorher stirbst, das ist die tiefe Weisheit der Heldenreise. Insofern ist die Station Nummer 8 die wichtigste Station. Wer sie begriffen hat, der hat die Heldenreise verstanden. Wer sie klug nutzt, kreiert eine unwiderstehliche Story.