Die Heldenreise ist eins der erfolgreichsten Storytelling Tools. Sie funktioniert bei Filmen und Romanen, aber auch bei Firmen und Produkten. Wie so eine Heldenreise eines Produkts aussehen kann, das zeige ich am Post-it.

Warum mache ich das? Weil ein Produkt mit dramatischer Story ganz einfach viel spannender ist als eins ohne. Was bei Porsche funktioniert, das funktioniert auch bei weitaus weniger emotionalen Produkten wie Klebezetteln.

Bevor wir uns die Heldenreise des Post-it-Klebezettels von 3M ansehen, eine kurze Erläuterung des Konzepts. Die Idee ist einfach: Ein Held geht auf eine Reise, an deren Ende er an den Ausgangspunkt zurückkehrt. Eine Kreisbewegung mit einer Reihe von Stationen, die wie ein fester Fahrplan der Reise zugrunde liegen. Dieser Fahrplan sieht natürlich bei jeder Reise anders aus, das werden wir gleich sehen. Er hat nicht 12, sondern weniger oder sogar mehr Stationen. Vielleicht hört die Reise auch eher auf. Jede Reise ist anders.

Mehr oder weniger alle Storys haben ein identisches Gerüst

Der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell entdeckt die Heldenreise. Campbell findet bei der Erforschung von Mythen und Märchen heraus: Mehr oder weniger alle Storys haben ein identisches Gerüst.

Die Etappen im Schnelldurchlauf: Der Held wird in seiner alltäglichen Welt vorgestellt. Dort ereilt ihn der Ruf zum Abenteuer. Er weigert sich zunächst, doch dann findet er einen Mentor, der ihn unterstützt. Der Held überquert die Schwelle in eine andere Welt, wo er Prüfungen zu bestehen hat, Freunde und Feinde findet. Er kommt ins Innere dieser Welt, wo er die höchste Prüfung absolviert, bekommt einen Schatz und tritt die Rückreise an. An der Schwelle zu seiner alten Welt erwartet ihn eine letzte Prüfung, bevor die Welt von seinem Schatz und seiner Transformation profitieren kann.

Geht das auch für ein Produkt? Mal sehen. Es ist auch für mich die erste Produktheldenreise, die ich aufschreibe.

Post it Heldenreise

Die Heldenreise des Post-it:

ERSTER AKT: Post-it im Labor

1. Etappe der Heldenreise: vertraute Welt
Die Labors von 3M. Es wird an neuen Klebern geforscht.

2. Etappe der Heldenreise: Ruf des Abenteuers
Der 3M Wissenschaftler Dr. Spencer Silver entdeckt bei seinen Laboruntersuchungen einen Klebstoff, der zwar sicher auf Oberflächen anhaftet, sich aber auch leicht wieder lösen lässt. Was soll er damit tun? Damals ging es darum, einen besonders starken Superkleber zu entwickeln. Sein neuer Klebstoff entspricht so ganz und gar nicht der Anforderung.

3. Etappe der Heldenreise: Verweigerung
Silver verweigert sich nicht. Im Gegenteil: Er sucht einige Jahre nach einem Verwendungszweck für seinen Kleber. Vergeblich. Er findet keinen.

4. Etappe der Heldenreise: Begegnung mit dem Mentor
Die Post-it-Idee entsteht im Kopf eines weiteren Wissenschaftler, der in Laboren von 3M arbeitet. Er markierte während der Proben im Kirchenchor mit Papierstreifen die Lieder im Gesangbuch, die beim nächsten Gottesdienst gesungen werden sollten. Doch die Papierstreifen taugen nicht als Lesezeichen, sie fallen immer wieder heraus. Er sieht als erster eine praktische Verwendung für den neuen Klebstoff.

5. Etappe der Heldenreise: die Schwelle überqueren
Die beiden Wissenschaftler beginnen, an haftenden Lesezeichen zu arbeiten, dem Vorläufer des Post it.

ZWEITER AKT: Post-it im Unternehmen

6. Etappe der Heldenreise: Freunde, Feinde, Prüfungen
Die beiden Männer arbeiten gemeinsam weiter. Feinde gibt es nicht, nur die Vorgabe des Unternehmens, starke Kleber zu entwickeln. Die größte Prüfung besteht darin, einen praktischen Nutzen über die Gesangsbuchlesezeichen hinaus zu erkennen.

7. Etappe der Heldenreise: Annäherung

Fry ahnt, dass es sich nicht nur um ein Lesezeichen handelt, sondern ein neue Art der Kommunikation.

8. Etappe der Heldenreise: Tod und Wiedergeburt

Das Lesezeichen stirbt und wird als Press ’n Pell wiedergeboren.

9. Etappe der Heldenreise: Belohnung
Das Testfeld des Verläufers des Post-it ist das gesamte Unternehmen. Die Mitarbeiter von 3M lieben die Haftnotizen.

DRITTER AKT: Post it in der Welt

10. Etappe der Heldenreise: der Weg zurück
In der Heldenreise von 3M gibt es keinen Weg zurück, der Weg geht nach vorn, in die Welt! Das ist die nächste Schwelle, die der kleine Klebezettel überschreitet. Die Haftnotizen werden in Testmärkten probiert. Kein Erfolg auf Anhieb. 3M entscheidet, die Klebezettel massenhaft zu verschenken, damit die Menschen das neue Produkt ausprobieren können.

11. Etappe der Heldenreise: letzte Verwandlung
Jetzt geht der Post-it viral. Fry erinnert sich: „Es war ein Produkt mit eingebauter Werbung, da Käufer, die ihre Notizen auf Dokumenten anbrachten und dann an andere versendeten, auch bei den Empfängern für Neugier sorgten.“ Aber noch ist der Klebezettel im Teststadium. Nur hat er jetzt bewiesen, dass er funktioniert. Ein völlig neues Produkt, das sich niemand gewünscht hat, aber alle brauchen.

12. Etappe der Heldenreise: Rückkehr

1980 kommen die Post it schließlich auf den Markt. Der Klebezettel ist kanariengelb 76 × 76 mm groß. Ein Riesenerfolg. Das amerikanische Magazin Fortune erklärte den Post it zu einer der wichtigsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts – zusammen mit dem Kühlschrank, der Boeing 707 und der CD.

Das war die Heldenreise des Klebezettels. Die Fakten dazu fand ich auf der Webseite von 3M.

Zum Thema Heldenreise gibt es zwei spannende Bücher. Das eine ist von Joseph Campbell und heißt Der Heros in tausend Gestalten, das andere ist vom Christopher Vogler und heißt The Writer’s Journey. Während Campbell vor allem Mythen zitiert und wissenschaftlich an das Thema Storytelling herangeht, erklärt Vogler lebendig entlang von Filmbeispielen.

In diesem Blog gibt es noch weitere Heldenreisen, die ich nachgezeichnet habe, Star Wars, Greta Thunberg und Steve Jobs.