Was ist Storytelling?

Storytelling ist das Erzählen von Geschichten. So werden Informationen vermittelt – und Emotionen. Gute Geschichten begeistern, fesseln und reißen mit. Sie hauchen kalten, nackten Zahlen Leben ein.

Storytelling hat seine Heimat in der Literatur und in Filmen, in Fabeln, Mythen und Märchen, im Journalismus und in politischen Reden. Als Business Storytelling wird es zur Führung eingesetzt, im Branding, im Marketing, in Werbung, PR oder Unternehmenskommunikation. Die Ursprünge von Storytelling liegen 200.000 Jahre zurück, sagen Ethnologen, es entstand an den Lagerfeuern unserer Vorfahren. Die technisch aufwendigsten Formen von Storytelling finden heute im Internet statt (New York Times Feature Snow Fall) oder in einer holographischen Spieleumgebung (z.B. Fragements für Microsoft Hololens).

Was ist eine Story?

Die Kurzformel sieht so aus: Story = Figur + Zwangslage + angestrebte Befreiung.

Eine Story besteht aus drei Teilen, die in einfachster Form mit Anfang, Mitte, Ende bezeichnet werden können. Oder vielleicht etwas präziser: Ausgangssituation, Komplikation, Auflösung.

Beispiel Odysseus

Ausgangssituation: Der griechische Held Odysseus will von Troja nach Hause fahren.

Komplikation: Er hat als mächtigen Gegenspieler den Meeresgott Poseidon, der die Heimfahrt verhindern will. So gerät Odysseus in eine Reihe von Abenteuern.

Auflösung: Odysseus besteht erfolgreiche alle Abenteuer und erreicht nach zehn Jahren wieder seine Heimat.

Das lässt sich auch viel detaillierter beschreiben. So macht es etwa die Heldenreise, eine in den 1950er-Jahren vom Mythenforscher Joseph Campbell entwickelte Struktur, um den Verlauf einer Story zu beschreiben. Faktisch und, wichtiger noch, entlang einer emotionalen Fieberkurve. Ein Beispiel dafür finden Sie in meinem Blogbeitrag über die Heldenreise.

Business Storytelling folgt den selben Regeln. Es geht darum, mit Hilfe von Geschichten, Aufmerksamkeit zu erzeugen, Menschen zu überzeugen, sie dazu zu bewegen, etwas zu tun. Kurzum: Es geht um Aktion. Jede Geschichte im Business Storytelling verfolgt ein Ziel.

Drei Beispiele für Business Storytelling

Apple

Eine Geschichte kann das Ziel haben, ein neues innovatives Produkt einzuführen.

Bei der Einführung des iPhones folgte die Präsentation von Steve Jobs folgendem Dreischritt: Wir haben uns die sogenannten Smartphones angesehen. Sie haben uns nicht gefallen, alle schwer bedienbar (Ausgangssituation). Wir haben die Herausforderung angenommen, ein Smartphone zu bauen, das ganz einfach und reduziert ist und trotzdem viel mehr kann. War nicht ganz einfach (Komplikation). Wir haben es trotzdem geschafft, hier ist es (Auflösung).

Airbnb

Eine Geschichte kann von der Gründung eines Start-ups erzählen.

Ausgangssituation: Wir, die Gründer, Joe, Nathan, Brian, hatten ein gemeinsames Apartment. Komplikation: Die Miete wurde angehoben, wir konnten uns das Apartment nicht mehr leisten. Auflösung: Wir vermieteten ein Zimmer mit Luftmatratze und Frühstück, das brachte uns auf die Idee für Airbnb.

Amazon

Eine Geschichte kann das Ziel haben, Unternehmenswerte und Guidelines so zu vermitteln, dass sie im Gedächtnis haften bleiben als Vorbild für das eigene Handeln.

Amazon besitzt eine Reihe von Leadership-Prinzipien. Eines davon heißt Frugality, der gezielte Einsatz von Ressourcen. Die Story, die dazu erzählt wird, ist sehr kurz: Der Schreibtisch des Firmengründers und CEO Jeff Bezos ist eine alte Tür auf zwei Böcken. Die ausführliche Geschichte erzählt sich jeder Mitarbeiter selbst, wenn er über Investitionen nachdenkt.

Ausgangssituation: Mein Bereich läuft gut, aber ich brauche mehr Leute. Komplikation: Brauche ich die wirklich, wenn Jeff mit einer alten Tür zufrieden ist, der Tür, mit der er damals, 1994, das Unternehmen startete, das heute eins der größten Digitalunternehmen der Welt ist? Geht es nicht vielmehr um den Start-up-Geist von damals, den die Tür symbolisch verkörpert? Kann ich nicht mit weniger Leuten das gleiche Ziel erreichen? Jeff war damals schließlich allein. Auflösung: neues Konzept, das z.B. erlaubt, durch den Einsatz von Technologie mit der gleichen Anzahl von Mitarbeitern die Ziele zu erreichen.

Was sind die Zutaten einer guten Story?

Eine Story – ganz gleich ob im Business oder in einem Märchen – hat ein einfaches Set von von Zutaten:

  1. Einen Helden. Das Publikum sollte sich mit ihm identifizieren können.
  2. Ein Ziel. Die entscheidenden Fragen sind: Warum erzähle ich diese Story jetzt? Was will ich damit erreichen?
  3. Einen Konflikt. Er entsteht aus Widerständen, die den Helden (und sein Team oder sein Unternehmen) daran hindern, das Ziel zu erreichen.
  4. Eine Dramaturgie. Sie lässt sich im Dreiaktschema darstellen – Ausgangssituation, Komplikation, Auflösung. Eine gute Orientierung geben auch die sieben Basic Plots.
  5. Eine Auflösung. Wie wird der Konflikt gelöst und was lernen wir daraus?

Was ist die Wahrheit einer Story?

Jede gute Story enthält eine individuelle Erkenntnis, in der sich viele Menschen wiedererkennen. Es scheint paradox: Die subjektive, kleine Welt öffnet den Blick für die großen Fragen des Lebens. Sie zeigt, wie in unseren Tagen Werte und Sinn verstanden werden. Nicht indem sie sagt: Das ist wertvoll, das nicht, sondern indem sie es anhand der Entwicklung einer Figur in einer besonderen Situation offenbart.

Ein Beispiel: Zwei Autos fahren auf einer Landstraße. Eine Schrottkiste und ein glänzender Porsche. Am Steuer sitzen eine illegale afrikanische Einwanderin und ein erfolgreicher Chirurg. Hinter einer Kurve sehen sie, wie ein Schulbus voller Kinder außer Kontrolle gerät. Nehmen wir an, der Bus beginnt zu brennen.

Beide halten. Denkt der Chirurg an seine sensiblen, wertvollen Hände, Hände, die viele Leben gerettet haben? Sicher. Doch er steigt aus. Er rennt zum Bus und beginnt Scheiben einzuschlagen. Und die Einwanderin, sicher denkt sie daran, abgeschoben zu werden, wenn die Polizei sie später befragt. Sie könnte abhauen. Dennoch steht sie an der Seite des Chirurgen und zieht Kinder aus dem Bus.

In besonderen Situationen zeigt sich, wer Menschen wirklich sind

Stellen wir uns das ganze noch mehr à la Hollywood vor. Ein flammendes Inferno. Die Haut schält sich von den Händen. Machen die beiden weiter? Was tun sie, wenn sie wissen, es ist nur noch ein Kind zu retten, welches Kind werden sie wählen?

In solchen Momenten offenbart sich das innere Wesen von Menschen. Und darin liegt die Wahrheit von Geschichten. Ganz gleich, ob es darum geht, einer Kollegin bei einer Präsentation zu helfen, einem unfairen Chef Contra zu bieten, ein Wochenende durchzuarbeiten, um ein Ziel zu erreichen, mit dem kritischen Feedback eines Vorgesetzten umzugehen, ein Start-up durch eine Krise zu steuern oder Kinder aus einem Schulbus zu retten.

Wir entscheiden uns und hinter dieser Entscheidung liegt eine Welt, offenbart in einer Story. Das macht Storys gerade im Business bedeutsam. Sie ermöglichen uns verstehen, wer die Menschen sind, mit denen wir zu tun haben.

Wie wirkt Storytelling?

Neurowissenschaftler und Psychologen haben sich in den letzten Jahrzehnten intensiv mit der Wirkung von Storytelling befasst. Ihre Grundidee ist folgende: Unsere Gehirne haben sich im Laufe der Evolution darauf ausgerichtet, Storys zu erzählen, zu verstehen und zu behalten. Sie sind nicht auf glasklare Business-Logik ausgerichtet. Schon gar nicht auf Powerpoint Charts, die Fakten auflisten.

Storys werden 22x besser erinnert

Das zeigten Experimente an der Stanford-Universität. Studenten hatten eine Minute, um eine Idee zu pitchen. Die meisten nutzten Fakten, nur wenige erzählten Storys. Die Storys aber blieben 22x besser in Erinnerung, fanden die Forscher heraus. Weil sie uns emotional berühren. Weil wir in einer Geschichte an die Stelle der Helden oder der Heldin treten.

Storys verkaufen 2-5x besser

Experimente an der Stanford-Universität zeigten auch, dass Storys mindestens doppelt so gut verkaufen wie pure Fakten. Getestet wurde das mit Spendenaufrufen. Die ideale Kombination sind Fakten plus Story. Das sagt auch Storytelling-Guru Robert McKee, der behauptet, dass seine Kunden 5x besser verkaufen, wenn sie Storys im Sales und Marketing nutzen. Das liegt unter anderem daran, dass wir das Hormon Oxytocin ausschütten, wenn wir Geschichten hören. Oxytocin macht uns empathisch. Je höher unsere Oxytocinwerte, desto mehr spenden wir, haben Experimente des Neuroökonomen Paul Zak gezeigt.

In meinem Buch Tell Me! Wie Sie mit Storytelling überzeugen gehe ich auf ein Experiment ein, das weit über diese Verkaufserfolge hinausweist. Da geht es um den Faktor 27 – ein Preis für Produkte wird mit Storytelling um das 27-fache gesteigert. Klingt unglaublich? Allerdings. Die Story des Experiments bekam im Buch folgende Überschrift: „Voodoo für Fortgeschrittene: Verkaufen, ohne zu verkaufen“.

Wie lässt sich Storytelling lernen?

Durch Übung. Und Nachahmen. Barack Obama ist ein großartiger Storyteller. Steve Jobs. Sheryl Sandberg. Schauen Sie sich sich Videos von diesen Helden strategischen Storytellings an.

Zugleich geht es um konsequentes Anwenden der elementaren Grundsätze von Storytelling. Auch wenn es Zeit kostet und eine Business Präsentation unbedingt abgegeben werden muss. Etwa die Hälfte der Zeit einer Präsentation sollte auf die Arbeit an der Story entfallen. Storytelling braucht Zuwendung.

Doch wer gelernt hat, sich in der Welt der Storys erfolgreich zu bewegen, der wird feststellen, dass sie zeitlos ist und überall auf der Welt gleich gut funktioniert. Mit Worten, mit Bildern, mit Videos. Die Inhalte der Geschichten mögen sich ändern, aber die wenigen Grundformen bleiben die gleichen.

Welche Rolle spielt Storytelling bei der eigenen Geschichte?

Storytelling ist eine großartige Unterstützung, wenn es darum geht, die eigene Geschichte überzeugend zu erzählen. Der Erforschung dieses Themas widmet sich die narrative Psychologie. Die Grundidee ist, ich schreibe meine eigene Geschichte immer wieder neu, mit Blick in die Zukunft und mit Blick in die Vergangenheit. Das Ziel? Wonach auch immer wir streben: Glück, Erfolg, Leistung, Wissen, Abenteuer.

Lebensgeschichten sind Konstruktionen. Als Storyteller haben wir die Macht, das Skript unseres Lebens, unserer Beziehung und Freundschaften unserer Familie oder unsrer Firma im besten Sinne zu beeinflussen. Es geht nicht darum, Wolkenkuckucksheime zu bauen, sondern Lebensentwürfe zu zeichnen, die inspirieren, ermutigen, erfreuen. Die andere dazu bewegen, Teil unserer Geschichte zu werden, weil diese genug Raum und Entfaltungsmöglichkeiten für sie bietet. Im Job ist das eine fundamentale Voraussetzung für Erfolg – für Verkäufer, für Projektmanager, für Professoren oder Politiker

Es gibt einen spannenden Aufsatz von Juli Beck, der die Erkenntnisse zusammenfasst. Ein zentrales Tool, das jeder Storyteller kennen sollte, ist der Golden Circle, er hilft, zum Kern einer Geschichte vorzudringen.

Beispiel: Drew Houston, Gründer von Dropbox

Houston erzählt, wenn er seinem 22-jährigen Ich einen Schummelzettel des Lebens hätte zuschieben können, er hätte drei Dinge enthalten: einen Tennisball, einen Kreis und die Zahl 30.000. Der Tennisball steht für die Leidenschaft und Besessenheit von etwas, wie ein Hund, der immer wieder den Ball zurückbringt. Der Kreis erzählt die Geschichte von dir und deinen Freunden, die du niemals vernachlässigen sollst. Diese Verbindungen braucht jeder, um glücklich zu sein. Die 30.000 steht für die Anzahl der Tage, die wir im Durchschnitt leben. Es geht darum, immer wieder daran zu denken, dass jeder Tag zählt.

Wann ist Storytelling strategisch?

Wie erzähle eine Geschichte richtig? Die Antwort darauf gibt Storytelling. Wie erzähle ich die richtigen Geschichten? Die Antwort auf diese Frage gibt strategisches Storytelling. Es geht darum, ein Gefühl und eine Guideline zu haben für die Storys, die ein Unternehmen wirklich braucht, um seine Ziele zu erreichen und seiner Vision näher zu kommen. Ganz gleich, in welchem Bereich.

Wer sich damit beschäftigt, wird schnell merken, dass genau diese Storys auch jeder Mensch braucht, um sich gut zu beschreiben. Personal Marketing und strategisches Storytelling stehen sich sehr nahe.

Was bringt Ihnen strategisches Storytelling?

Es gibt diesen wunderbaren Satz des Managementautors Peter Drucker: „Sobald Sie von der untersten Stufe aus auch nur einen einzigen Schritt aufsteigen, steht und fällt ihr Wirkungsgrad mit ihrer Fähigkeit, andere durch ihr gesprochenes und geschriebenes Wort zu erreichen.“

Strategisches Storytelling steigert Ihren Wirkungsgrad, indem es die Mittel zur Verfügung stellt, andere erfolgreich in Reden und Präsentationen, in Mails oder Statements zu erreichen und zu bewegen. Ihr Fachwissen allein wird dafür nicht reichen, es geht auch darum, es erfolgreich zu vermitteln.

Wichtig ist es, als Manager oder Führungskraft zunächst einmal ein Gefühl dafür zu bekommen, wie mächtig Storytelling als kommunikatives Instrument ist. Wie effizient. Wie nachhaltig. Das geht sehr einfach: Probieren Sie die Tipps aus, die ich auf dieser Webseite gebe.

Erfahrungswissen und langer Wille entscheiden. Als Pixar nach einem knappen Jahr eine frühe Version von Toy Story zeigte, bekam Disney kalte Füße. Das war noch nichts. Am Ende wurde der Film ein Blockbuster. „The first draft of anything is shit“, sagt der Schriftsteller Ernest Hemingway.

Warum begeistert mich dieses Thema?

Ich glaube fest an die Macht von Storytelling. Gute Geschichten verändern die Welt, indem sie zu Taten inspirieren. Sie ermöglichen uns, Grenzen zu überschreiten. Eine neue oder veränderte Realität fassbar zu machen. Das hat bei Apple genauso funktioniert wie bei Pixar. Und ich bin sicher, Steve Jobs hätte die Macht des Storytellings in jedem anderen Unternehmen ebenso virtuos genutzt.

Im Unternehmenskontext sollte meiner Meinung nach Storytelling immer strategisch ausgerichtet sein, so hat es einen Horizont und wird niemals Selbstzweck.

Das Gleiche gilt auch im Personal Marketing. Es geht nicht darum, ein schönes Bild von sich zu zeichnen, auf das andere hereinfallen. Es geht vielmehr darum, sich selbst klar zu verorten: Warum mache ich was ich mache? Wem nützt das? Der Ausgangspunkt ist immer der jeweilige Purpose.

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