Hundepfeifen-Politik ist eine Form des indirekten, codierten Storytelling, das bevorzugt in der Politik im Kontext von Manipulation genutzt wird.

In diesem Beitrag zeige ich entlang von Beispielen aus Filmen, Werbung und Politik, wie diese Technik grundsätzlich funktioniert, wie sie sich von anderen Formen der Anspielung unterscheidet und wie man mit ihr umgeht.

Woher stammt der Begriff Hundepfeifen-Politik und was bedeutet er?

Es gibt verschiedene Arten von Pfeifen, die in der Kommunikation mit Hunden eingesetzt werden, Trillerpfeifen etwa. Die Pfeife, auf die hier Bezug genommen wird, ist die Galtonpfeife. Die Frequenz ist so hoch, dass der Hund den Ton hört, die meisten Menschen jedoch nicht.

Der Begriff Hundepfeifen-Politik kam in den 80er-Jahren in den USA auf. Gemeint ist die Verwendung verschlüsselter oder suggestiver Sprache in politischen Botschaften, um die Unterstützung einer bestimmten Gruppe zu gewinnen, ohne den Widerspruch einer anderen Gruppe zu provozieren. Hundepfeifen-Politik verwendet eine Sprache, die der Mehrheit normal erscheint, aber der Zielgruppe (den „Hunden“ im Publikum) eine andere Story erzählt. Sie werden häufig bei kontroversen Themen verwendet.

Ein typisches Beispiel sind Begriffe wie „Globalisten“ oder „internationale Finanzelite“, die sich auf die Wahnidee einer jüdischen Weltverschwörung beziehen. Ich sage etwas, indem ich es nicht sage. Also kann ich es auch abstreiten, etwa wenn mich in einem Interview ein Moderator mit dieser Botschaft konfrontiert.

Wie baut Hundepfeifen-Politik Botschaften auf?

Menschliche Kommunikation ist voller vielschichtiger Bedeutungen, und ein einziges Signal kann mehrere Inhalte vermitteln. Insider-Witze bedeuten für die Ingroup das eine, für die Outgroup etwas anderes. Metaphern und Sarkasmus haben eine wörtliche und eine nicht-wörtliche Bedeutung. Geheime Codes bedeuten nach außen hin das eine und im Inneren das andere.

Die britische Linguistin Kimberly Witten erklärt in einer aktuellen Abhandlung über Hundepfeifen-Politik die Kriterien, die diese erfüllen muss.

10 Kriterien für dog whisteling:

Intentionalität

Absichtlich, dahinter verbirgt sich ein Zweck

Interpretation

Es gibt mindestens zwei auffällige, plausible Interpretationen

Sprachliche Verpackung

Ein einzelnes Wort, eine Äußerung oder auch eine Reihe von Äußerungen

Publikumsgestaltung

Es gibt zwei Zielgruppen: eine allgemeine und eine spezifische

Spezifische Zielgruppe

An sie richtet sich die Hundepfeifen-Botschaft

Methode des Verschlüsselns

Die Zuhörerschaft unterscheidet sich in Bezug auf Wissen oder Identität, der Sprecher nutzt diesen Unterschied

Grad der Verschlüsselung

Ausreichend, um von der allgemeinen Zielgruppe nicht erkannt zu werden

Motivation für die Verschlüsselung

Es gibt einen zwingenden Grund, um die Dogwhistle-Nachricht
vor den allgemeinen Empfängern verborgen zu halten.

Schlüssigkeit und Relevanz

Beide Interpretationen entsprechen den Bedürfnissen und Erwartungen aller möglichen Empfänger

Wirkung

Die Hundepfeifen-Botschaften sind so gestaltet, verpackt und übermittelt, dass sie bei den verschiedenen Empfängern die gleiche Reaktion hervorrufen, unabhängig von den Interpretationen.

Beispiele für die Anwendung von Hundepfeifen in Politik, Film und Werbung

Hundepfeifen-Politik oder Dog Whisteling wird häufig in stark eingeschränkter Perspektive betrachtet – zum Beispiel in Bezug auf verdeckten Rassismus. Für das Verständnis der Technik im Kontext von Storytelling möchte ich den Rahmen allerdings öffnen und auch auf Beispiele außerhalb der Politik zurückgreifen, damit die generelle Logik deutlicher wird.

Findet Nemo: Denkt schmutzige Gedanken

In der Aquariumszene des Pixar-Films erklärt Gill den anderen Bewohnern seinen Plan, damit Memo entkommen kann. Der erste Schritt ist die Verschmutzung des Aquariums. Er sagt: „Denkt schmutzige Gedanken.“

Für Kinder und Erwachsene hat „schmutzig“ eine andere Lesart – doch beide können an dieser Stelle lachen. Im Gegensatz zu den kleineren Kindern versteht die spezifische Zielgruppe der Erwachsenen beide Bedeutungen.

„Schmutzige Gedanken“ sind an dieser Stelle eine besondere Form der Mehrdeutigkeit. Sie sind – unterstellt man die Absicht, den Film Generationen übergreifend zu gestalten – eine harmlose Form der Hundepfeifen-Politik.

Subaru: Get out. And stay out

Das Foto auf der Anzeige zeigt einen Subaru Outback, der eine Kurve auf einem Bergpass fährt. Darunter steht: Get out. And stay out. Geht raus und bleibt draußen.

Was verstehen grundsätzlich alle? Dass sie sich nach draußen (in die Natur) begeben sollen und dort so lange bleiben, wie sie wollen. Die spezifische Zielgruppe, die Subaru laut Kimberly Witten damit ebenfalls anspricht, versteht außerdem: Get out (of the closet = enthülle deine sexuelle oder geschlechtsspezifische Identität, die du bisher geheim gehalten hast). And stay out (be proud – sei stolz).

Die spezifische Zielgruppe ist in diesem Fall ein homosexuelles Publikum, das Subaru vor dieser erfolgreichen Werbung wohl erfolglos versucht hatte, direkt anzusprechen.

Kimberly Witten schreibt: „This Subaru ad, and others like it, was a hit. As a dogwhistle, the covert messaging in these ads was also incredibly successful—the target audience related to the copy and found enjoyment in decoding the messages. In follow-up research, Subaru found that straight people were completely oblivious to the references or double meanings.“

George W. Bush: Nur ein Komma

Im September 2006 wird der George W. Bush, Präsident der USA, auf CNN interviewt. Man diskutiert die vielen toten US-Soldaten während des Irakkrieges.

Bush sagt: „Yes, you see…You see it on TV, and that’s the power of an enemy that is willing to kill innocent people. But there’s also an unbelievable will and resiliency by the  Iraqi people. Twelve million people voted last December … Admittedly, it seems like a
decade ago. I like to tell people when the final history is written on Iraq, it will look like just a comma because there is…my point is, there’s a strong will for democracy.“

Das große Publikum hört Bush über tote Soldaten sprechen und über den Wunsch der irakischen Bevölkerung nach Demokratie. Der Tod amerikanischer Soldaten, nur ein Komma? Die Reaktion: Man wirft Bush mangelnde Sensitivität vor.

Die spezifische Zielgruppe, religiöse Supporter des Präsidenten, hört etwas Anderes: Sie erkennt ein Zitat der Komödiantin Gracie Allen. „Setze niemals einen Punkt, wo Gott ein Komma setzt“, übernommen von der Universal Church of Christ als ihr Slogan für eine Marketingkampagne zur Zeit des TV-Interviews. Sie sieht ein Geschichtsbuch vor sich, dass Gott schreibt bzw. schon geschrieben hat. Sie sieht nicht nur das Komma, sondern auch den Punkt, in ihrer Interpretation der Sieg.

Diese Hundepfeifen-Politik scheitert. Auch die religiöse Auslegung im Sinne eines höheren Plan Gottes kann die als unsensibel bis zynisch zu lesende Aussage gegenüber den toten Soldaten nicht kompensieren. Beide Zielgruppen sind negativ berührt.

Trump, Höcke, Nixon: Make America great again

Das Prinzip der Hundepfeifen-Politik dürfte jetzt klar sein. Noch drei Beispiele im Schnelldurchlauf.

Meister dieser Form der Andeutung ist Donald Trump. Er findet Formulierungen, die unauffällig scheinen und doch seine radikalsten Hörer die Ohren spitzten lassen. „Make America Great Again!“ ist für viele von ihnen schlicht und einfach ein kodiertes „Make America White Again!“.

Thüringens AFD-Chef Björn Höcke steht wegen einer SA-Parole vor Gericht. Der Vorwurf: 2023 in einer Rede Nazi-Vokabular verwendet zu haben. Genauer: eine verbotene Losung der Sturmabteilung (SA), der paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP. Die Parole lautet „Alles für Deutschland„. Das allgemeine Publikum hört einen Claim, die spezifische Zielgruppe am rechten Rand sieht die historische Referenz und fühlt sich bestätigt. Höcke selbst, ehemals Geschichtslehrer, erklärt, diese Losung habe er nicht gekannt. Hundepfeife? Nicht absichtlich. Das ist der Trick und das Infame bei dieser Technik – wer sie nutzt kann, darauf angesprochen, Unschuld mimen.

Ein berühmtes Beispiel für Hundepfeifen-Politik ist Richard Nixons Mahnung nach „law and order“. Experten erläutern wie diese scheinbar farbenblinde Formulierung bis heute eine Ersetzung für rassistische Sprache ist. Die Quellen dazu finden sich bei dem Psychologen Brian P. Tilley, der sich mit Trumps Sprache und deren Wurzeln in der US-Politik auseinander setzt.

Wie setzt man sich am besten mit Hundepfeifen-Politik auseinander?

Generell ist das nicht ganz einfach, denn wir wir nicht zu den „Hunden“ zählen, können wir die Hundepfeife nicht hören. Was sich aber tun lässt: Wach zu sein für die Dissonanzen, wie sie z.B. bei George W. Bush auftauchen. Warum diese Formulierung jetzt? Wen spricht sie an? Mit welchem Zweck? Es geht darum, unser Gehör zu trainieren.

Ein anderer Weg, das zu tun, besteht darin, kritische Medien zu lesen, die darüber aufklären. Denn so breit ist das Spektrum der politischen Hundepfeifer am Ende doch nicht. Sie neigen zu Wiederholung und Variation. Wer einige Motive bereits durchschaut hat, ist sensibler dafür, weitere zu entlarven. Und wer die Kriterien kennt, nach denen einen Hundepfeife gebaut ist, kann diese ebenfalls leichter dekonstruieren.

Und schließlich die Frage, ob es Sinn macht, selbst diese Technik zu nutzen. Meine Antwort darauf ist simpel: Finger weg! Klarheit vor Mehrdeutigkeit, Offenheit vor Manipulation.