„I have a dream“: Martin Luther King, einer der bedeutendsten Kämpfer gegen Rassismus und Sprecher der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, hielt seine weltberühmte Rede im August 1963 in Washington. 250.000 Menschen hörten  zu.

Leser meines Sparkline-Beitrags und Nutzer des Download-Pakets baten mich, ob ich nicht einige beispielhafte Analysen von Reden schreiben könnte. So entstand die Analyse der Steve Jobs-Rede. Und nun auch die Analyse der Jahrhundertrede von Martin Luther King.

Ich habe diese Rede ausgewählt, weil „I have a dream“ so bekannt ist. Und weil hinter Kings Rede selbst eine spannende Story steckt, von der sich viel lernen lässt. Über Vorbereitung, die Verbindung zum Publikum und den Mut, das Manuskript beiseite zu schieben, wenn die Situation es verlangt.

Kings Rede ist komponiert wie eine Predigt. Oder wie ein Lied, dessen Refrains viele Male wiederholt werden. King spricht sehr rhythmisch, er macht lange Pausen, er variiert das Tempo. Insgesamt eine sehr dramatische und mitreißende Rede.

Doch nicht von Anfang an.

Als King auf das Podium geht, hat das Publikum in großer Hitze bereits eine Reihe von Reden gehört. Man ist müde. King ist der letzte Sprecher an diesem Tag. Er hat seine Rede gemeinsam mit seinen Beratern vorgeschrieben. Ursprünglich sollte sie fünf Minuten dauern.

King will nur eine Metapher, ein einziges starkes Bild verwenden. Er entscheidet sich gegen die Traum- und für die Pay Check-Metapher, mit der die Rede auch beginnt. Seine Berater sagen: Du hast die Worte „I have a dream“ schon zu oft in deinen Reden verwendet.

King steht auf den Treppen des Lincoln Memorials in der National Mall. Er zitiert gleich zu Beginn seiner Rede Präsident Lincoln und die Unabhängigkeitserklärung der USA. Seine Worte passen perfekt zum Geist des Ortes.

I have a dream: Aus einer Vorlesung wird eine Predigt, die die ganze Welt berührt

King liest vom Manuskript ab. Applaus, Zwischenrufe an einigen Stellen, doch  der Funke will nicht überspringen. Zwei Drittel seiner Rede sind vergangen, da ruft die Gospelsängerin Mahalia Jackson: „Tell them about the dream, Martin!“

Sie spürt, dass Kings Rede, die ohnehin schon über der vereinbarten Zeit ist, eine Kurskorrektur benötigt. Doch King reagiert nicht. Er ist mitten im Call to Action. „Go back to Mississippi, go back to Alabama, go back to South Carolina …“ Allerdings weicht er auch hier schon vom Manuskript ab. Er findet eindrucksvollere Worte.

Jackson, die Kings Reden von gemeinsamen Auftritten kennt und mit ihm befreundet ist, wiederholt ihren Zwischenruf: „Martin! Tell them about the dream!“

Jetzt löst King sich vom Manuskript, jetzt wird die Rede großartig. King erzählt von seinem Traum. Er blickt direkt ins Publikum. Vorbei die steife Körpersprache.

„And even though we face the difficulties of today and tomorrow, I still have a dream. It is a dream deeply rooted in the American dream.“

Der Funke springt über. Die Rede geht als eine der bedeutendsten Reden in die Geschichte der USA ein. Aus der Vorlesung wird eine Predigt, die die ganze Welt berührt.

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Kings Rede war neben der berühmten Rede Präsident Kennedys von 1961 die wichtigste Ansprache, die im US-TV bis dahin gezeigt wurde. Man übertrug sie auch live nach Europa.

Es ist eine Rede, die verbindet. Keine Schuldzuweisungen, kein Aufruf zur Radikalität. Im Gegenteil: Kings Traum basiert auf dem festen Glauben, dass die Amerikanische Verfassung für alle Bürger gilt.

Hier meine Analyse von „I have a dream“:

1. HEUTE

King beschreibt das Heute als den Zustand eines nicht eingelösten Versprechens (Pay Check-Metapher). Er bezieht sich auf die Gettysburg Address und die Unabhängigkeitserklärung Amerikas. Die Schwarzen, sagt er, seien längst noch keine gleichen Bürger.

„The negro is still not free … we have come here today to dramatize a shameful condition.“

2. MORGEN

Alle Amerikaner werden, unabhängig von ihrer Hautfarbe, in Frieden zusammenleben.

„Free at last.“

3. Inhalt

In einem Satz: Der Traum von einem Amerika, in dem alle Menschen gleich sind.

„I have a dream that one day this nation will rise up and live out the true meaning of it’s creed: ‚We hold these truths to be self-evident; that all men are created equal‘.“

4. Dauer

Gut 15 Minuten.

Der berühmte Teil dauert keine fünf Minuten.

5. Erfolgskontrolle

Der Erfolg dieser bewegenden und inspirierenden Rede lässt sich am Fortschritt der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung messen. Und an der Bedeutung von King für die amerikanische Politik.

Der berühmte Teil der Rede „I have a dream“ dauert keine fünf Minuten

6. Call to Action

Mit dem Call to Action endet das Originalmanuskript. Danach improvisiert King.

„Go back to Mississippi, go back to Alabama, go back to South Carolina … knowing that somehow this situation can and will be changed. Let us not wallow in the valley of despair.“

7. Publikum

Live dabei: 250.000 Amerikaner, ca. 20 Prozent davon Weiße. Am Fernseher: potentiell die gesamte Nation.

Kings Rede richtet sich zwar vornehmlich an Farbige, also sein Publikum in Washington. Doch zugleich spricht er zu allen Amerikanern, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, Religion oder politischer Position.

8. Akt 1

Ein selbstbewusster Hinweis auf die Bedeutung der Veranstaltung und damit auch der Rede.

„I am happy to join with you today in what will go down in history as the greatest demonstration for freedom in the history of our nation.“

Danach eine eindringliche Beschreibung des Status Quo. Sie gipfelt in der Feststellung, dass die Gründer der Nation allen Bürgern „the unalienable rights of life, liberty, and the pursuit of happiness“ versprochen hätten.

Doch dieses Versprechen hätten sie nicht eingehalten. „America has given the negro people a bad check.“

Die Menschen seien hier, um den Check endlich einzulösen, den ihnen die Gründerväter der Nation gegeben hätten.

King nimmt sich rund vier Minuten der Redezeit für diesen Part. Das ist sehr lang.

9. Akt 2

In diesem Akt geht es typischer Weise ein wenig hin und her zwischen Heute und Morgen. Zwischen dem, was ist und dem, was sein soll. Bei King allerdings weniger. Er verkürzt den zweiten und verlängert den dritten Akt. Er nutzt ihn für eine ausführliche Darstellung des Benefits und des Morgens.

Wer sich das im Detail anschauen möchte, findet bei Nancy Duarte eine Timeline der Rede. Das gibt es auch das komplette Manuskript von „I have a dream“. Duarte über Martin Luther King.

Die wesentlichen Passagen, die von einem Morgen erzählen, in dem der Amerikanische Traum verwirklicht ist, arbeiten sehr stark mit Wiederholungen.

Zum Beispiel: „Now is the time to …“

10. Akt 3

Der dritte Akt beginnt mit dem Call to Action: „Go back to …“

Dann wechselt King in den Predigt-Modus und hält sich nahezu ausschließlich in der Zukunft auf. Er malt sein Bild des amerikanischen Traums.

Die Passagen werden eingeleitet mit ständigen Wiederholungen der Phrasen „I have a dream that one day …“ und „Let freedom ring …“ Dieser frei gesprochene Teil überragt die ersten beiden Teile der Rede bei weitem – weil er vor Leben sprüht. Hier kommt das Charisma von King zur Geltung. Dieser Teil der Rede macht ihn berühmt.

Der gesamte dritte Akt der Rede widmet sich ausführlich dem Benefit, wenn Amerika sich auf die Gleichbehandlung seiner Bürger einlässt. Zusammengefasst wird der Benefit ganz am Schluss.

Diese Formulierung wiederholt King drei Mal: „Free at last.“

Lesen Sie auch meine Analyse von Nelson Mandelas Antrittsrede, von Abraham Lincolns Gettysburg-Rede und von Steve Jobs‘ Stanford-Rede.

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