Ebenso wichtig wie die Fähigkeit, gute und überzeugende Storys zu erzählen, ist die Kunst des Zuhörens. Zumindest für Führungskräfte und alle, die es werden wollen. Zum Storytelling gehört das Storylistening. Reden braucht Schweigen. Zum Antworten gehört das Fragen.
Diese Fähigkeiten sind komplementär und sie sollten sich meiner Meinung nach bei Managern und Führungskräften in einem ausgewogenen Zustand befinden.
Nur wer Kollegen, Mitarbeitern oder Kunden gut zuhört, erfährt, wo diese wirklich der Schuh drückt, bekommt alle Fakten, überwindet seine kognitiven Verzerrungen (Biases) und kann bessere Entscheidungen treffen. Er sieht der Realität ins Auge, vermeidet sozial und ökonomisch ineffiziente Missverständnisse, drückt darüber hinaus Wertschätzung und Respekt aus.
Fragen. Zuhören. Punkt.
In einem Workshop über das CEO Mindeset erklärte uns Bestsellerautor und Coach Ram Charan: „When you’re talking to someone, you don’t sell your idea. Your attitude is listening and looking for opposite view points.“ Charan hat unter anderem Jack Welch in seiner Zeit als CEO von General Electric gecoacht. Dessen Standardfrage, erzählte Charan, war „What’s new?“
„Good morning Jack, how are you?“ – „What’s new, Ram?“ Egal wen er traf, immer die gleiche Frage.
Managementautor Peter Drucker erzählt über Jack Welch, dass dieser die großartige Fähigkeit besaß, den Mund zu halten. Einfach zu schweigen. Stundenlang, bis auf kleine Verständnisfragen. Ein Meister in der Kunst des Zuhörens. Doch wenn er aus dem Raum ging, hatte jeder eine Vorstellung davon, was zu tun war. Klare To-dos.
Jack Welch sagt über sich, er habe zum Beispiel die Teilnehmer von Executive Development Courses immer gefragt: „Was würden Sie tun, wenn Sie am nächsten Tag zum Leiter von GE ernannt würden?“ Dann hat er aufmerksam zugehört.
So viel zu Management-Legende Jack Welch.
Entspannen. Schweigen. Konzentrieren.
Ich selbst hatte das Glück, mit Vorgesetzten arbeiten zu dürfen, die die Kunst des Zuhörens perfekt beherrschten. Sie fragten, hörten zu, waren sehr schnell auf der Höhe der Situation und bereit, gemeinsame Entscheidungen zu fällen.
Jeden von ihnen habe ich als angenehm wahrgenommen, auch wenn die Entscheidungen mitunter nicht angenehm waren. Ihr Vorgehen machte sie sympathisch und glaubwürdig.
Die Kunst des Zuhörens ist eng verbunden mit der Kunst des Fragens. Hier meine wichtigsten Erfahrungen.
Die Kunst des Zuhörens:
1. Exklusive Aufmerksamkeit schenken
Möglichst: keine Seitenblicke aufs Handy, kein schneller Anruf zwischendurch, keine Störungen. Üben Sie sich in Selbstdisziplin.
2. Nachfragen, wenn Sie etwas nicht verstanden haben
Und zwar zeitnah. Aber unterbrechen Sie nicht. Da das eine meiner Schwächen ist, weiß ich, wie sehr man sein Gegenüber damit – unbeabsichtigt – aus dem Takt bringen kann.
3. Das Gehörte wiederholen
Im Verlauf des Gesprächs mit eigenen Worten zu wiederholen, was bei Ihnen angekommen ist, halte ich für effektiver als eine einzige Zusammenfassung am Ende.
4. Aktiv nach neuen Erkenntnissen suchen
Stellen Sie, wie Jack Welsh, jedem die wirklich wichtigen Fragen, damit Sie in Ihrem Bereich die besten Entscheidungen treffen können. Suchen Sie nicht nach Bestätigung, sondern nach abweichenden Meinungen. Jedes Gespräch ist eine Chance, Ihr Bias zu überwinden und ihr Wissen zu vergrößern.
5. Blickkontakt halten
Bitte ohne zu starren. An Ihrem Blick (und natürlich auch an Ihrer Körpersprache) kann Ihr Gegenüber leicht echte Aufmerksamkeit erkennen.
6. Eine offene Körperhaltung einnehmen
Manche Gesprächspartner spiegeln die Körpersprache ihres Gegenübers. Finde ich etwas zu stark. Man kommt sich schnell vor, als sitze man vor einem Spiegel.
7. Die Körpersprache des Gegenübers beobachten
Seine Gestik, seine Mimik, seine Stimme. Gleichen Sie dessen Worte und Körpersprache ab. Bei Dissonanzen finde ich direktes Nachfragen sinnvoll. Etwas stimmt nicht – kein Herumreden. Die Kunst des Zuhörens ist weit mehr, als die Worte aufzunehmen und zu verstehen.
8. Schweigen aushalten
Wenn Ihr Gegenüber schweigt, heißt das nicht, dass Sie reden müssen. Ruhepunkte tun einem Gespräch sehr gut. Dinge setzen sich. Neues entsteht.
9. Am Ende alles zusammenfassen
Die Grenze des Zuhörens. Jeder am Gespräch Beteiligte muss am Ende des Gesprächs wissen, was zu tun ist. Klare Aufgabenstellungen für jeden.
10. Entspannen und zugleich hoch konzentriert sein
In diesem Satz liegt für mich die eigentliche Kunst des Zuhörens. Es ist die Verbindung aus Offenheit und Fokus, die das Gespräch für beide Seiten erfolgreich macht. Die wahre Kunst des Zuhörens.
Was sind Ihre Erfahrungen? Schreiben Sie mir.