Storys schreiben ist eine Sache, Storys erfolgreich redigieren eine andere. Wie geht das? Werden Sie Ihr schärfster Kritiker! Erst unerbittliches Redigieren bringt die Qualitäten einer Geschichte, einer Rede, einer Präsentation zum Vorschein. Mit jeder Revision wird sie treffender und überzeugender.
Der französische Romanautor Marcel Proust war ein Meister der Revision, ein Perfektionist des Storytellings. Proust schrieb mit Auf der Suche nach der verlorenen Zeit den monumentalsten Roman des letzten Jahrhunderts. Immer wieder feilte er am Text. Seine Technik: Er war zugleich Autor und sein schärfster Kritiker. Er teilte sich in zwei Persönlichkeiten und der Kritiker in ihm war erbarmungslos, betrachtete selbst das Fertige nur als Vorschlag.
Erfolgreich Storys zu redigieren bedeutet produktive Persönlichkeitsspaltung
Proust, Phase 1: Erzählerisches Brainstorming
Proust, der Autor, schrieb einfach drauflos, ohne genau zu wissen, was er eigentlich schreiben wollte. Er hatte ein umfangreiches Werk im Sinn, eine Trilogie. Während des ersten Weltkriegs überdachte er sein Konzept und kam auf sieben Bände.
Diese spielerische Lockerheit ist die beste Voraussetzung dafür, gutes erzählerisches Rohmaterial zu entdecken und zu sammeln – auch und gerade bei Business Präsentationen. Ein erzählerisches Brainstorming kann Teamsache sein. Es geht aber auch ganz allein – wie bei Proust, der übrigens die meisten Texte im Bett geschrieben hat.
Proust, Phase 2: Umschreiben
Keine Angst vor dem Umschreiben! Proust schrieb allein die Hälfte des ersten Bandes viermal um. Er strich ganze Passagen, veränderte Sätze, fand treffendere Formulierungen. Da er mit der Hand schrieb, sah sein Manuskript nach heutigen Kriterien chaotisch aus.
Wie überzeugend ist meine Business Präsentation? Das ist die Grundfrage beim Umschreiben. Dabei ist es wichtig, agil vorzugehen. Wie genau, das beschreibe ich etwa in diesem Beitrag über einen anderen Autor: Ernest Hemingway. Oder auch in einem Prozess, den ich Lean Storytelling getauft habe.
Proust, Phase 3: Das Fertige nicht akzeptieren
Auch in den Druckfahnen kannte Prousts Revisionsgeist keine Gnade. Der Kritiker in ihm nutzte jeden Millimeter für Anmerkungen und Streichungen, um das eigentlich eigentlich längst Fertige noch einmal besser zu machen.
Keine Scheu vor scheinbar fertigen Dingen oder getroffenen Entscheidungen. Das zeigt Marcel Proust, aber noch radikaler Alfred P. Sloan in seiner Zeit als Chef von General Motors. Kurz vor dem Abschluss eines Deals fragte er sein Team: Wir sind überzeugt, das Richtige zu tun. Aber lassen Sie uns bitte Gegengeschichten erzählen, wie alles ganz anders – und gar nicht gut für uns – laufen kann, wenn wir diese Entscheidung treffen. Das war für ihn der letzte Schritt im Entscheidungsprozess. Bis zum Schluss war für ihn – wie für Proust – alles offen.
Dass eine Story perfekt scheint, ist kein Grund, sie nicht grundsätzlich noch einmal in Frage zu stellen. Es ist – im Gegenteil – sogar die Pflicht der Verfasser, wie Marcel Proust oder Alfred P. Sloan zeigen.
Sie merken schon, eine gute Story kostet Zeit. Immer. Dafür wirkt sie auch stärker als eine Sammlung trockener Fakten. Und hat eine bedeutend längere Halbwertszeit.