Die Tücken der Change Story. 2013. Bei einem großen Change-Prozess habe ich in meiner damaligen Rolle als CEO mit so manchem Experten gesprochen. Viel gebracht hat es nicht. Hätte ich mich doch bloß auf mein Literaturstudium besonnen und Aristoteles Dramentheorie noch einmal gelesen!

Wir alle erzählen Storys über uns. Storys beschreiben, wer wir sind. Jemanden kennenzulernen heißt, seine Story zu hören.

Change. In Zeiten des Umbruchs ist Storytelling nötiger denn je. Change Storys sind für Unternehmen in bewegten Zeiten Normalzustand.

Ein wirklich tiefes Verständnis für die Mechanik einer Unternehmensstory über Change gibt die eigene Change Story.

Erinnern wir uns. Wie war das? Vom Studenten zum Angestellten. Vom einfachen Angestellten zur Führungskraft. Von Job A zu Job B. Oder von Firma A zu Firma B. Von der Firma an die Uni. Sabbatical. Wiedereinstieg.

Welche Story erzähle ich in solchen Übergangsphasen? Es ist die Phase, wo wir von allen kritisch beäugt werden. Unsere Motive, unser Charakter, unsere Fähigkeiten, alles wird neu gewogen.

Wir nutzen die Change Story, um uns spielerisch neu zu erfinden

Ohne eine überzeugende Story, die unserem Leben Sinn gibt, fühlen wir uns in solchen Zeiten oft verloren. Diese Story braucht vor allem eins: Kohärenz. So entsteht Vertrauen beim Zuhörer.

Dass Ihr Leben vielleicht zufällig und unmotiviert sein könnte, macht Sie nicht vertrauenswürdig. Wenn externe Gründe die Hauptrolle in Ihrem Dasein spielen, dann scheinen Sie jemand zu sein, der sich in sein Schicksal fügt. Will niemand hören.

Besser so: Ihre Gegenwart ist verlinkt mit ihrer Vergangenheit und von dort aus gibt es eine Rampe, die in die Zukunft führt. Ihr Leben ist keine magische Box. Kein Springteufel steckt mir als Zuhörer die Zunge heraus.

Der Ablauf einer Change Story, frei nach Aristoteles‘ Drei-Akt-Struktur für das Drama:

Akt 1

Ausgangssituation. Es gibt einen Helden, nennen wir ihn Tim. Seine Welt hat sich geändert, so dass etwas wichtiges für ihn auf dem Spiel steht. Sagen wir, um es einfach zu machen: Tim ist gefeuert worden und sucht einen neuen Job.

Im ersten Akt wird diese Ausgangssituation dargestellt. Der Zuhörer weiß, dass die Geschichte davon handeln wird, wie der Held die Dinge wieder ins Gleichgewicht bringt.

Akt 2

Hindernisse. Frustration. Konflikte. Neue Freunde. Neue Feinde. Im zweiten Akt geht es rund.

Denken Sie an Homers Odyssee: Zehn Jahre Irrfahrt, Zyklopen, sechsköpfige Monster, tödliche Strudel und eine unwiderstehliche Halbgöttin. Unter normalen Umständen hätte die Heimfahrt von Troja nach Ithaka keine zwei Wochen gedauert.

Zu Tim. Ein Gleichgewicht in seinem Leben scheint weiter entfernt denn je. Der Jobmarkt ist eine einzige Katastrophe. Sein Ex-Chef wirft ihnen Steine in den Weg. Seine Frau hat einen anderen. Er schlittert von einem Unglück ins nächste. Er scheint in einem Hollywood-Drama festzustecken.

Akt 3

Auflösung. Der Held gewinnt. Meistens. Er mag auch tragisch scheitern, aber das ist ein anderes Thema.

Zu Tim. Nach einem scheinbar endlosen Bewerbungsprozedere findet er einen Job. Andere Branche. Andere Aufgabe. Aber er merkt schnell, dass diese Verlegenheitslösung viel besser ist als der vorherige Job. Eine neue Frau tritt in sein Leben. Und sein Ex-Chef kann ihm nichts mehr anhaben.

Achtung bei Wendepunkten: Sie mögen im Leben gar nicht so auffällig sein. Schauen Sie genau. Denn diese Wendepunkte interessieren Ihre Zuhörer besonders.

Ausgangssituation. Konflikte. Auflösung. So konstruiert der menschliche Geist Wirklichkeit

Warum habe ich Ihnen diese Struktur gezeigt? Weil sie fundamental für alles Storytelling ist. Nicht nur, dass so oder ähnlich Dramen funktionieren. Filme. Romane. So funktionieren wir als Menschen.

Wir verstehen Zusammenhänge und wir schenken Vertrauen, wenn wir dieses Muster erkennen.

Wenn Sie in dieser Struktur erzählen, dann lehnen sich die Zuhörer vor und fragen begierig: Und. Wie geht es weiter? Erzähl schon!

Wenn Sie eine Change Story nicht so erzählen, dann mag sie auch funktionieren. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings eher gering. Fällt der erste Akt raus, wird die Story unverständlich. Und fällt der zweite Akt raus, wird sie unglaubwürdig. Fällt der dritte Akt raus, halte ich es für weniger schlimm. Vielleicht stecken Sie ja mitten im zweiten Akt, wenn Sie die Story erzählen.

Wenn alles aufgelöst ist, muss der dritte Akt natürlich folgen, damit die Zuhörer sich wieder entspannen und mit Ihnen aufatmen können. Damit das Vertrauen in Sie gestärkt wird.

Change Storys: So kommt das Neue in die Welt

Schritt 1: Träumen

Es geht darum, einen Traum, eine Idee, eine Utopie so konkret und so einfühlsam wie möglich zu beschreiben. Das Ziel: Alle Zuhörerinnen und Zuhörer müssen ihn ebenso träumen. Ein gutes Beispiel dafür gibt Martin Luther Kings Rede „I have a dream“.

Schritt 2: Springen

Das ist der Moment der Entscheidung. Wir gehen auf unbekanntes Terrain. Dabei sollte die Story unmissverständlich vermitteln: Es gibt kein zurück! Diesen Geist vermittelt zum Beispiel Buddhas berühmte Story über das Floß.

Schritt 3: Kämpfen

Es geht um Tapferkeit, um Durchhalten. Für diese Art Storys findet sich ein herausragende Rede in Shakespeares Heinrich V. Sie endet: „Denn welcher heut sein Blut mit mir vergießt, der wird mein Bruder. Sei er noch so niedrig, der heutige Tag wird adeln seinen Stand.“

Schritt 4: Klettern

Durchhalten, zurückblicken, was wir schon alles geschafft haben und worauf können wir uns freuen?

Schritt 5: Ankommen

Das ist der Moment des Glücks. Wichtig ist hier auch, die Punkte der Geschichte noch einmal zu verbinden und stolz zu sein auf jeden Einzelnen. Apple-Gründer Steve Jobs hält so eine Ankommen-Rede, die zugleich auch eine Weiter-Rede ist in Stanford. Jeder kennt sie, doch es schadet nichts, sie wieder und wieder zu sehen!