Welche Rolle spielt eigentlich die Moral im Storytelling? Diese 10 Fragen werden mir in meinen Storytelling Workshops immer wieder gestellt.
1. Was genau ist eigentlich die Moral einer Story?
Man könnte sie als den Kern des dramatischen Codes beschreiben. Eine Aussage über das Weltbild und die Werte des Erzählers, der in Business Storys häufig ja auch der Held ist. Zum Beispiel könnte die Moral von Steve Jobs Lebensgeschichte lauten: Think different. Es beschreibt nicht nur seine Firma Apple, sondern auch die Essenz seiner Story, das, was wir in Bezug auf das Leben von ihm lernen.
John Truby formuliert es entlang des Begriffs Thema, den er im moralischen Sinne auslegt, so: „Theme may be the most misunderstood of all major aspects of storytelling. Most people think of theme as subject matter … Theme is the author’s view of how to act in the world. It is your moral vision. Your moral vision is totally original to you, and expressing it to an audience is one of the main purposes of telling the story.“
Moral bzw. eine moralische Weltsicht zu inszenieren ist kurzum das Thema aller Storys – nicht nur in Hollywood.
2. Brauchen Storys eine Moral?
Dagegen können wir uns kaum wehren. Gute Storys haben eine Moral, ob wir sie explizit sagen oder nicht – die Menschen werden sie erkennen. Natürlich kann ich die Moral auch in einem Claim oder Sinnspruch formulieren. „Yes, we can“, wäre so ein Sinnspruch. Doch er drückt nichts anderes aus, als die übergreifende Moral all der Obama-Storys. Und auch der seiner Wählerinnen und Wähler.
3. Sind Storys im Business nicht vielmehr moralfreie Anekdoten?
Gerade Anekdoten können eine Moral haben – eine Aussage darüber, welche Art zu handeln zu bevorzugen ist. Nur sind sie splitterhafter, weniger ausformuliert. Viele großartige Storys im Business, insbesondere im Leadership sind mehr als Anekdoten, sondern vielmehr Geschichten über persönliche Erfahrungen. Martin Luther King zum Beispiel hat in seinen Geschichten und Bildern und Anekdoten von seinem Traum erzählt. „I have a dream“ war das moralische Oberthema seines Lebens.
4. Was habe ich von einer Moral in einer Story?
Sie hilft mir zu lernen. Eine Story ließe sich beschreiben als die Darstellung eines Change-Prozesses, einer Transformation, einer Lernreise, gezeigt an einer oder mehrer Figuren. Sie hat eine Innenseite (Psychologie) und eine der Welt und anderen Menschen zugewandte Seite (Moral).
5. Kann ich Storys von der Moral her konstruieren?
Sicher. Doch das würde ich nicht empfehlen. Es geht um Echtheit. Die Moral ist zu stark mit Ihnen als Erzählerin oder Erzähler verknüpft, als dass eine erfundene Story sie transportieren könnte. Wenn ich aber eine übergeordnete Moral habe, z.B. den Obama-Claim „Yes, we can“, dann scheint es sinnvoll, Storys zu suchen, die diese Moral zu stützen, und diese zu erzählen.
6. Muss ich eine Moral im Klartext sagen?
Nein. Sie erscheint im Gewebe der Story. Wenn zum Beispiel Greta Thunberg sagt, niemand sei zu klein, um einen Unterschied zu machen, dann ist das nicht nur eine leere Moral, eine Behauptung, dann ist das die Überschrift über ihre Lebensgeschichte. Sie müsste es nicht sagen: Wir alle verstehen das auch so. Dennoch schadet der Klartext in keiner Weise.
7. Kann ich die Moral in einen Claim fassen?
Ja, das scheint sogar sinnvoll. „Love is a human right“ ist so ein Claim. Oder „Black lives matter“. Das sind sehr starke Claims – gerade weil es so viele Lebensgeschichten dahinter gibt, die diesen Claims Kraft verleihen und sie in der Sphäre höherer Wahrheiten ansiedeln.
„Use the force!“ wäre so ein Claim aus der Welt des Kinos, ein Leitmotiv, eine Metapher – und eine Moral, die sich durch alle Star-Wars-Filme zieht. Kein Wunder, dass viele diesen Claim für ihr Leben und ihr Verhältnis zu Welt übernommen haben und übernehmen – weil er uns Kraft und Orientierung gibt.
Für so einen Claim gilt, er sollte kurz sein und ein „sanfter Imperativ“, also mit Ausrufezeichen, doch ohne wie ein Befehl zu klingen. Eine Aufforderung, genau wie „Use the Force!“.
8. Muss eine Moral positiv sein?
Ja. Ich würde sie unbedingt in einem positiven Sinne zeigen. Als etwas, das Menschen anstreben wollen. Generell glaube ich, dass positive Storys im Business und auch im Leben ansteckender sind. Wenn sie am Ende ein Claim daraus destillieren lässt, etwa „Kindness is everything“ – umso besser.
In einem Interview mit der Forscherin und Aktivistin Jane Goodall in der New York Times fand ich eine kluge Antwort auf die Frage, ob es aus ihrer Sicht Sinn machen würde, Angst und Wut ins Zentrum zu rücken, wenn es um das Wohl des Planeten geht. Sie sagt: „We absolutely need to know all the doom and gloom because we are approaching a crossroads, and if we don’t take action it could be too late. But traveling the world I’d see so many projects of restoration, animal and plant species being rescued from the brink of extinction, people tackling what seemed impossible and not giving up. Those are the stories that should have equal time, because they’re what gives people hope.“
9. Was bewirkt eigentlich Moral im Storytelling?
Sie ermöglicht uns, auf einer tieferen Ebene zu lernen. Sie gibt uns Orientierung. Eine Moral ist so etwas wie ein Ankerpunkt, den eine Geschichte anbietet – für alle, die diese Geschichte hören oder lesen. Wir können ihr folgen oder auch nicht. Sie ist vielmehr ein Angebot, das uns erleben lässt, was diese Moral bedeutet.
10. Macht eine übergreifende Moral Sinn für Teams oder Unternehmen?
Absolut. Ich würde es vielleicht so sagen: Ein Unternehmen handelt nach einem Set von Werten und einem übergeordnetem Purpose – einem Warum und Wozu. Die Geschichten im Unternehmen oder auch im Marketing sollten genau davon handeln. Wie das Unternehmen die Welt interpretiert, welchen Standpunkt es vertritt, wie es die Welt zum Guten verändern will. Das gleiche gilt dann abgeleitet auch für Teams oder Bereiche.