Meist machen wir uns über den Anfang einer Story viel mehr Gedanken als über ihr Ende. Doch gerade das Ende bleibt in Erinnerung. Es verdient also ebenso viel Aufmerksamkeit. Hier sind 18 gute letzte Sätze aus Romanen als Anregungen für Ihr Storytelling.
Gibt es etwas, das all diese Sätze verbindet? Vielleicht das: Sie fassen den Inhalt auf ihre Art noch einmal zusammen. Oder sie weisen darüber hinaus. Oder sie greifen den Anfang auf. Jedenfalls sind alle mit großem Bedacht gewählt und entscheiden darüber, was wir empfinden, wenn die Story vorüber ist. Was bleibt.
Der Psychologe Daniel Kahneman sagt, seine Forschung zeige, wie bedeutsam gerade das Ende ist – das Ende eines Vortrags, einer Mail, einer Präsentation. Das Ende entscheidet über die Bewertung.
Sein Beispiel ist ein Film. Fängt er gut an, bewerten wir den Film zunächst einmal positiv. Jedoch: Ist das Ende aus unserer Sicht misslungen, neigen wir dazu, dieser Tatsache mehr Gewicht zu geben. Ende schlecht, alles schlecht. Der gute Anfang kann das nicht aufwiegen.
18 gute letzte Sätze, frei gewählt aus ca. 100 Romanen, die ich schätze – eine subjektive Auswahl, doch ich hoffe, jeder findet etwas für sein Storytelling. Und wer mag, der liest auch meinen Beitrag über 18 gute erste Sätze von 2019.
18 gute letzte Sätze:
- „Erst wenn du deinen letzten Atemzug getan hast, wirst du begreifen, das dein Leben nicht mehr gewesen ist, als ein Tropfen in einem grenzenlosen Ozean. Was aber ist ein Ozean anderes als eine Vielzahl von Tropfen?“ (Der Wolkenatlas, David Mitchell)
- „Und während sie Zukunftspläne schmiedeten, schauten sie auf das Meer hinaus und die groben und kleinen Wellen rauschten dazu an den Landesgrenzen.“ (Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, Michael Ende)
- „Gegen jede Erwartung wird also weitergetanzt, im Dunkeln und zu einer primitiven Musik, deren Kult auch am Ende des dritten Jahrtausends nicht aussterben will.“ (Das Leben des Vernon Subutex, Teil 3, Virginie Despentes)
- „So kämpfen wir uns voran wie Schiffe gegen die Strömung, unaufhörlich zurück ins Vergangene getrieben.“ (Der große Gatsby, Scott Fitzgerald)
- „Hier ist es. Diese steinernen Löwen haben sie angeblickt. Im Wechsel des Lichts scheinen sie sich zu rühren.“ (Kassandra, Christa Wolf)
- „Er stopfte den letzen Tabak in seine Pfeife, ging zum Bug und stand dort so lange mit vom Wind tränenden Augen, bis etwas sich im Abenddunst abzeichnete, durchscheinend zunächst und noch nicht ganz wirklich, aber dann immer deutlicher, und der Kapitän lachend antwortete, nein, diesmal sei es keine Chimäre und auch kein Wetterleuchten, das sei Amerika.“ (Die Vermessung der Welt, Daniel Kehlmann)
- „Als sie es dann wagten, verstohlen erst und dann ganz offen, da mussten sie lächeln. Sie waren außerordentlich stolz. Sie hatten zum ersten Mal etwas aus Liebe getan.“ (Das Parfüm, Patrick Süskind)
- „Was blieb, war nur das Rauschen des Waldes in dem Birkenwäldchen.“ (Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki, Haruki Murakami)
- „Hannah hat immer schon gewusst, dass ihr Kind sie einmal verlassen wird; aber auch Hanna hat nicht ahnen können, dass Sabeth auf dieser Reise gerade ihrem Vater begegnet, der alles zerstört. – Sie kommen.“ (Homo Faber, Max Frisch)
- „Über der Flussmündung hing eine schwarze Wolkenwand, und der stille Wasserweg, der bis zu den äußersten Enden der Erde reichte, strömte düster unter dem bedeckten Himmel dahin – schien hineinzuführen in das Herz einer gewaltigen Finsternis.“ (Herz der Finsternis, Joseph Conrad)
- „Draußen legt sich die frühe Nacht dem Dorf wie eine beruhigende Hand auf den Scheitel.“ (Unterleuten, Juli Zeh)
- „Ich hatte keine Antwort darauf. Mom mochte das ja im Rückblick sagen, aber ich fand, wenn man mitten im Schlamassel steckte, war es ziemlich schwierig abzuschätzen, was davon Gottes Wille war und was nicht.“ (Schloss aus Glas, Jeannette Walls)
- „Ich steige ins Boot und setze mich auf die Holzplanke, und der Mann schiebt die Ruder durch diese Metalldinger und rudert los. Bald sind wir in der Mitte des Sees. Schon bald.“ (Faserland, Christian Kracht)
- „Die Drehtür dreht sich, schwingt, schwingt, schwingt …“ (Menschen im Hotel, Vicki Baum)
- „Er murmelte etwas vor sich hin, und dann sagte er, als ziehe er Bilanz: Da werde einer klug draus.“ (Stille Tage in Clichy, Henry Miller)
- „(am Ende eines 75-seitigen Satzes ohne Satzeichen) … und ich hab gedacht na schön er so gut wie jeder andere und hab ihn mit den Augen gebeten er soll doch nochmal fragen ja und dann hat er mich gefragt ob ich will ja sag meine Bergblume und ich hab ihm zuerst die Arme um den Hals gelegt und ihn zu mir niedergezogen dass er meine Brüste fühlen konnte wie sie dufteten ja und das Herz ging ihm wie verrückt und ich hab ja gesagt ja ich will Ja. (Ulysses, James Joyce)
- „Sie stand da, eine Siegerin in dem guten Streite, den sie während der Zeit ihres Lebens gegen die Anfechtungen von Seiten ihrer Lehrerinnenvernunft geführt hatte, bucklig, winzig und bebend vor Überzeugung, eine kleine, strafende, begeisterte Prophetin.“ (Buddenbrooks, Thomas Mann)
- „Ja, dachte er, ich bin bereit, ich war immer bereit, endlich bin ich bereit.“ (Lichtjahre, James Salter)