Use your Story! Geh in das Herz deiner Geschichte, sagt Storytelling Coach, Drehbuchautorin und Regisseurin Kathrin Feistl. Kathrin drehte Filme wie Bin ich sexy?, Nele in Berlin oder Tonio und Julia. Und sie hilft Menschen, Ihre ganz persönliche Story zu erzählen. Hier unser Interview zum Thema Storytelling.
Unverwechselbar ich – use your story. Das steht ganz oben auf deiner Webseite. Was bedeutet das?
Use your Story ist der Kerngedanke meiner Geschäftsidee: ich weiß, dass jeder Mensch ein Storyteller ist, dass in jedem von uns auf Grund der Erlebnisse und Erfahrungen unglaubliche viele Geschichten und „Heldenreisen“ gespeichert sind. Die meisten Menschen wissen gar nichts von diesem Schatz und sie nutzen diese Geschichten nicht für sich, zum Beispiel zum Selbstmarketing, für ihre „About me“ Seite, oder um bessere Beziehungen herzustellen. Sie nutzen diesen Fundus nicht und das will ich ändern mit meinem Ansatz: nutze deine Geschichte für Dich.
Unverwechselbar ich! bedeutet für mich: Das Leben jedes Einzelnen ist unverwechselbar. Kein Mensch hat dieselben Erfahrungen, Erlebnisse und Gedanken, wie ein anderer – das ist wunderbar und es macht uns besonders.
Ich wünsche mir, dass viel mehr Menschen genau diese Unverwechselbarkeit nutzen, um sichtbar zu werden, um in ihrer Besonderheit gesehen und verstanden zu werden.
Use your Story! Sich zeigen, den Mut haben, etwas Persönliches preiszugeben
Und du hilfst den Menschen, diese Storys zu finden oder zu entwickeln. Wie machst du das?
Der berühmte Mentalist Lior Suchard antwortet auf diese Frage immer: „If I tell you I have to kill you.“
Aber im Ernst: Ich unterstütze Menschen darin, ihre Geschichten zu erzählen und für sich zu nutzen, indem ich Ihnen Mut mache, sich zu zeigen und authentisch zu sein. Indem ich Fragen stelle und nachbohre und ihnen eine wunderbare Methode des Ideensammelns an die Hand gebe, die auch den inneren Zensor ausschaltet. Das ist leider häufig das Schlimmste: der Zensor in unserem Kopf, der jede gewagte, ketzerische und mutige Idee kaputt haut – dabei sind das oft die besten Ideen.
Indem ich ihnen zeige, wie eine Story aufgebaut ist, und wie sie die Strukturen der Heldenreise in ihrem Leben wiederfinden können. Indem sie in meinen Workshops im geschützten Rahmen ihre Geschichten ausprobieren, modifizieren und auf den Punkt bringen können.
Die Fragen sind wahrscheinlich das wichtigste. Ich kann da sehr genau und intensiv sein: leere Floskeln und drum herumreden mag ich nicht.
Die meisten Menschen wollen doch berührt werden, wenn sie jemandem zuhören. Sie wollen Dinge erfahren, die sie noch nie gehört haben. Dinge, die in die Tiefe gehen und Beziehungen herstellen. Sie wollen wissen, wie andere Menschen mit Schwierigkeiten und Krisen umgegangen sind, um zu lernen.
Diese Art Stories zu erzählen, bedeutet, sich zu zeigen. Den Mut zu haben, etwas Persönliches preiszugeben. Es bedeutet nicht, privat zu sein. Das ist etwas Anderes. Und das kann ganz schön nervig sein. Persönlich sein bedeutet, auch über eigene Zweifel, Schwierigkeiten und Hindernisse zu reden. Privat erzählen aus dem Nähkästchen, so eine Nabelschau zu betreiben, das erlebt man leider viel zu oft in den Medien, das bringt in meinen Augen niemandem etwas. Weder dem Storyteller noch dem/ der Zuhörer*in.
Use your Story! Ich bin berührt, wenn ich spüre, dass ein Mensch seine Wahrheit spricht
Könntest du vielleicht ein Beispiel aus deiner Arbeit erzählen?
Eine Frau besuchte einen Workshop von mir, sie war sehr schüchtern und zurückhaltend. Eine Person, die sich niemals in den Mittelpunkt stellt, die im Leben und im Beruf vermutlich oft übersehen worden ist. Anfangs hat sie sich nicht getraut hat, überhaupt den Mund aufzumachen oder etwas lauter zu reden. Ich glaube, sie ist nur gekommen, weil ihr Leidensdruck so hoch war, weil sie etwas ändern musste.
Nach all den Übungen und den Geschichten hat sie dann am Ende des Workshops mit viel deutlicherer Stimme und einer berührenden Mimik und Gestik die Geschichte ihrer Hände erzählt. Dass sie erkannt hat, dass sie in Zukunft mit ihren Händen arbeiten muss, dass sie die Hände vernachlässigt hat und Berührungen auch. Dabei hätten ihre Hände heilende Kräfte und gäben ihr das Gefühl, lebendig zu sein, egal ob sie für eine Freundin die Hochzeitstorte backt oder massiert oder einen Stein berührt.
Die ganze Zeit habe ich wie hypnotisiert auf ihre Hände geschaut, die ihre Geschichte so wunderbar miterzählt haben. Ihre Hände hatten sich befreit, das konnte ich sehen.
Wann sind wir eigentlich fasziniert von einem Menschen und seiner Story? Wann bewegt mich jemand? Lässt sich das sagen?
Ich möchte das gerne nur für mich sagen: ich bin berührt, wenn ich spüre, dass der Mensch seine Wahrheit spricht. Wenn ich die Gefühle in der Stimme hören kann. Wenn es wahrhaftig und authentisch ist, dann wird die Stimme das immer transportieren und das rührt mich sehr.
Ich bin auch ein großer Fan von Ehrlichkeit, wenn es wirklich in die Tiefe ans Eingemachte geht (ich bin Fisch). Ich mag nicht mehr oberflächlich dahin reden. Unser Leben ist zu wichtig dazu. Wir erleben alle jeden Tag so viele schöne und berührende Dinge, die etwas bedeuten und die erzählt werden wollen.
Ich bin kein Fan davon, ständig nur über schreckliche Ereignisse zu hören. Es geht doch auch immer um Hoffnung, um Visionen. Und darum eine bessere Welt zu schaffen. Ja, ich bin obendrein noch unverbesserliche Optimistin.
Gibt es vielleicht ein Set von einfachen Leitfragen, mit denen jeder sich seiner Story zuwenden kann?
Hier sind drei, aber es gibt ganz viele:
1.) Welches Talent oder welche Fähigkeit mag ich besonders gerne an mir?
2.) Was bringt mich dazu, jeden Morgen aufzustehen und mein Bestes zu geben?
3.) Warum tue ich das, was ich tue? Macht mich das glücklich?
Use your Story! Ich habe geübt, zwischen den Zeilen zu lesen
Du bist Filmregisseurin und Autorin. Wie hilft dir das bei deiner Arbeit mit Menschen und ihren Storys?
Ich habe über viele Jahre geübt zu schauen, zuzuhören, zwischen den Zeilen zu lesen, den Subtext aus den Schauspieler*innenn heraus zu kitzeln. Und gesprochene Worte nicht einfach als gegeben hinzunehmen, sondern auf die Zwischentöne zu achten.
Und das tue ich natürlich auch bei allen anderen Menschen in meinem Umfeld. Ich höre es sofort, wenn jemand unecht ist, oder vorgibt, mehr zu sein, als er ist.
Ich höre auch sofort, wenn sich jemand schämt. Scham ist ein interessantes Phänomen mit dem ich mich in den letzten Jahren beschäftigt habe. So viele Menschen schämen sich, dass sie sich schämen. Dabei gibt es nur eine gute Methode diese lästige, furchtbare Scham aufzulösen: indem man darüber redet. Sie nicht unter den Teppich kehrt.
Aber ich komme vom Thema ab. Die Regisseurin in mir hört ganz genau zu, ob mir die Menschen in meinen Kursen die Erlaubnis geben, weiter nachzufragen und zu bohren, damit sie ihre Geschichten auf die Welt bringen können. Und wenn ich die Erlaubnis bekomme, dann lasse ich auch nicht locker.
In der Entwicklung von Storys: Ist es das gleiche Vorgehen, eine Filmfigur zu erschaffen und die Story eines realen Menschen zu erzählen?
Ich glaube, das sind unterschiedliche Sachen: Die Story eines realen Menschen muss man ja auf die Welt bringen helfen. Eine Filmfigur ist eine fiktive Gestalt, die man formt und gestaltet, damit sie die Dinge erlebt und tut und sagt, die zu der Geschichte passen, die man erzählen will.
Use your Story! Die Menschen in ihre Essenz führen, das ist es, was ich liebe
Lässt sich aus deiner Sicht der Punkt bestimmen, an dem Echtheit, Authentizität entsteht? Wo ist aus Sicht der Story der Unterschied – falls es für dich einen gibt – zwischen fiktiven Filmfiguren und echten Menschen? Wie echt sind Filmfiguren, wie fiktiv sind unsere eigenen Storys?
Filmfiguren sind dann echt, wenn die Schauspieler sie mit ihrem eigenen Leben und ihren eigenen Schmerzen und Gefühlen füllen. Dann berührt uns die Performance eines Schauspielers zutiefst.
Echte Menschen sind berührend, wenn sie ihre Wahrheit sprechen. Persönlich, nicht privat.
Eine meiner Teilnehmerinnen sagte vor kurzem: Du führst die Menschen an ihre Essenz. Und da wurde mir klar, ja, das stimmt, dass ist es was ich mehr als alles andere liebe. Und das ist das verbindende Element für mich als Storytelling-Coach und als Regisseurin. Egal ob es „echte“ Menschen sind oder Schauspieler, ich versuche immer, sie ins Herz ihrer Geschichte zu führen.
Treffen wir uns am Ende alle in einer Storyrealität? Wo sind die Grenzen, die Gefahren?
Beim Storytelling sehe ich die Gefahr dann gegeben, wenn Leute anfangen, sich permanent besser und erfolgreicher und schöner zu machen, als sie sind. Denn das löst bei allen anderen Menschen nicht Sympathie oder Zuneigung aus, sondern nur Stress.
Wenn Menschen bei ihrer eigenen Geschichte bleiben und lernen die so anzunehmen, wie sie ist – dann kann eigentlich nichts schiefgehen.
Brené Brown hat dazu etwas ganz Wunderbares gesagt: You either walk inside your story and own it, or you stand outside your story and hustle for your worthiness. Ich hab das mal ganz frei übersetzt mit: Nimm Deine Geschichte an und lebe sie, anstatt von außen auf sie drauf zu schauen und Dir eine andere zu wünschen.