Wie lautet die genaue Definition von Storytelling? Diese Frage wird mir immer wieder gestellt. Meine kurze Antwort: Es geht um das Erzählen von Geschichten, mit dem Ziel, andere zu überzeugen, zu bewegen oder für eine Sache zu gewinnen.

Meine lange Antwort: Storytelling ist im Marketing anders als im Journalismus oder der Psychologie. Es gibt viele verschiedene Ansätze von Storytelling. In diesem Beitrag stelle ich die wichtigsten vor. Wer gern die Basics von Storytelling und dessen Wirkung besser verstehen möchte, findet bestimmt auch diesen Beitrag interessant.

Die 7 wichtigsten Definitionen und Anwendungen von Storytelling

  1. Storytelling im Marketing: Emotionen verkaufen

    Im Marketing helfen Storys, den Verkauf mit Emotionen zu fördern. In einer mit Informationen überfrachteten Welt erzeugen Storys Neugier, regen die Fantasie an, ziehen Kunden in die Erzählung.

    Bei der Kaufentscheidung zählen nicht nur Qualität oder Preis, sondern vor allem die Geschichte, die mit dem Produkt verbunden wird. Mini, die Wiedergeburt einer Legende fahren oder Tesla, das Auto aus der Zukunft. Storytelling im Marketing stellt nicht die Fakten in den Vordergrund, sondern verbindet diese mit der emotionalen Überzeugungskraft guter Geschichten.

    Geschichten, die sich von denen in Kino, Theater oder Roman nur in der Länge unterscheiden. Ein erfolgreicher Werbeclip wie Puppy Love von Budweiser, der eine Minuten dauert, folgt dem gleichen Spannungsbogen wie ein Spielfilm – genau das macht ihn so erfolgreich.

    Die Zutaten für den Erfolg: Es gibt einen Helden, einen Konflikt, eine Dramaturgie und es gibt Emotionen, die dafür sorgen, dass die Story gern weitererzählt oder über Social Media geteilt wird.

    Beispiel Mercedes: Die Stuttgarter zeigen in ihrem 2017er-Werbeclip für die E-Klasse mehr als ein neues Auto. Sie erzählen die Geschichte der Entwicklung selbstfahrender Autos bei Mercedes. Sie erzählen von gescheiterten Versuchen, bis es nach 30 Jahren schließlich klappt: mit der neuen E-Klasse. So nimmt der Clip den Zuschauer mit auf eine Reise. Dass andere Hersteller selbstfahrende Autos ohne diese Historie ebenso hinbekommen, zählt nicht.

    Learning: Vor dem Hintergrund von Produkten, die immer ähnlicher werden, macht Storytelling den Unterschied. Hier lässt sich lernen, wie Emotionen mit Marken oder Produkten verbunden werden und Kaufentscheidungen beeinflussen.

  2. Storytelling in Literatur, Drama, Film: Plots folgen

    In der Literatur folgen verschiedene Genres verschiedenen Storytellingmustern (Plots). Ein Krimi ist anders erzählt als eine Liebesgeschichte als ein experimenteller Roman. Während die Ernste Literatur spielerisch mit festgelegten Storystrukturen umgeht, sich stärker in die Innenwelten von der Figuren begibt, orientiert sich die Unterhaltungsliteratur strikter an Handlungsabfolgen. Genau wie das Drama.

    Ein Drama, wie der griechische Philosoph Aristoteles es beschreibt, besteht aus drei Teilen – Anfang, Mitte Ende. Ein Held wird vorgestellt und bekommt eine Aufgabe (Anfang). Er kämpft gegen Widerstände und Widersacher, um die Aufgabe zu erfüllen (Mitte). Er verliert oder gewinnt (Ende).

    Beispiel: Ein Junge verliebt sich in ein Mädchen, doch er kann sie nicht bekommen, sie hat einen anderen. Ein Ringen beginnt, er muss sie haben. Es geht hin und her, bis zum guten oder traurigen Ende. Ein Spannungsbogen zieht sich durch die Aufführung, der Zuschauer fiebert mit.

    Exakt so ist es bei einem Film oder in der Unterhaltungsliteratur. Hollywood stellt emotionale Nähe her, erzeugt Spannung und bringt die Zuschauer dazu, sich mit der Hauptfigur zu identifizieren. Wenn wir einen Film sehen, ein Theaterstück oder ein gutes Buch lesen, dann lesen wir nicht von Harry Potter, dann sind wir Harry Potter.

    Komödie, Tragödie, Reise, das Monster besiegen, Wiederkehr, Suche, Reise und Rückkehr – das sind die sieben Geschichten, die wir wieder und wieder erzählen. Master Plots nennt sie der britische Autor Christopher Booker.

    Learning: Die elementaren Erzählstrukturen sollte jeder Storyteller kennen – den Aufbau eines Dramas und die verschiedenen Plots. So wird das Erzählen von Geschichten effizienter.

  3. Storytelling im Journalismus: die Story finden

    Journalismus ist Storytelling pur. Die zentrale Frage lautet: Was ist die Story? Meint: Was ist das Neue oder der Nutzen für die Leser? Keine Neuheit, kein Nutzen, keine Story. So einfach ist das. Im Journalismus bleiben die meisten Storys wahrscheinlich ungeschrieben, zumindest unveröffentlicht.

    Die Suche nach der besten Geschichte ist der Kern von Journalismus, denn sie lässt sich am besten verkaufen. Dann erst setzt das eigentliche Storytelling eine: Im Journalismus lässt sich eine Geschichte analog und digital auf die verschiedensten Weisen erzählen – von der schnellen News bis hin zum aufwändigen Multimedia-Storytelling.

    „Wir sind Papst“ erzählt die ganze Story in einer Bild-Schlagzeile. Dazu das Foto von Josef Ratzinger und jeder weiß Bescheid. So genial, dass es mittlerweile einen eigenen Wikipediaartikel zu dieser Schlagzeile gibt. Drei Worte, alles gesagt. Ein Meilenstein des interaktiven Erzählens wie die New York Times-Reportage Snow Fall: The Avalanche at Tunel Creek, zieht die Leser dagegen ganz langsam in eine unheimliche Welt.

    Für jedes Format – News, Kommentar, Rezension, Reportage, Feature, Test – gibt es eigene Strukturen und Regeln des Erzählens. Alle verbunden durch die Ausgangsfrage: Was ist die Story?

    Learning: Journalismus, gerade in seiner elementaren Form, erzieht Storyteller zur Fokussierung und Ausrichtung an den Interessen des Publikums. Eine gute Schule für alle Formen von Business Storytelling.

  4. Storytelling im Management: authentisch bleiben

    Im Management hilft Storytelling, andere zu überzeugen. Mitarbeiter, Kollegen oder Chefs. Dazu gehört vor allem eins: Wer sich selbst mit einer kleinen Geschichte vorstellt, erzielt eine viel authentischere Wirkung als mit einer Auflistung von Lebensstationen.

    Nicht mit Geburtsjahr und -ort beginnen, sondern erzählen: Was macht mich zu dem Manager, der ich heute bin? Und bloss nicht so erzählen, dass alles geradlinig und zwangsläufig auf den Management-Job hinausläuft. Das will niemand hören. Viel wichtiger ist es, von den Hindernissen und Irrwegen zu erzählen, von Wendepunkten, von innerem Zögern und Hadern. Wie eine Romanfigur, die sich entwickelt.

    Ausgangssituation, Komplikation, Auflösung – in diesem Dreischritt geht es voran. Wie endet so eine Geschichte? Mit der Beantwortung der Frage: Wohin will ich als Manager? Wer diese Geschichte glaubhaft erzählen kann, mit dem wollen Menschen gern arbeiten.

    Wer sich dann noch zurückhalten, Gespräche führen und gut zuhören kann, der gewinnt. Der wird darüber hinaus verstehen, Storytelling in Change- oder Innovations-Prozessen zu nutzen, um alle in einer lebendigen Geschichte mitzunehmen.

    Learning: Peter Drucker schreibt, dass der Wirkungsgrad jedes Managers stark von seinen kommunikativen Fähigkeiten abhängt. Besonders wichtig scheint mir, die eigene Geschichte im Kontext des Unternehmens glaubhaft zu erzählen: das Verständnis der eigenen Rolle, die persönlichen Ziele und Werte.

  5. Storytelling in der Psychologie: die eigene Lebensgeschichte erzählen

    Die narrative Psychologie geht davon aus, dass wir keine objektive Biographie haben. Die eigene Biographie, die der Familie oder einer Firma, das ist Storytelling pur. Wir schreiben im Lichte der Gegenwart die Vergangenheit und auch unsere Zukunft ständig neu.

    Jeder verändert sich, und diese Veränderungen drücken sich in den Storys aus, die wir von uns erzählen. Identität hat Vorfahrt vor Wahrheit.

    Der Psychologe Dan McAdams sagt: Es gibt drei Aspekte des Selbst, die sich wie Schichten überlagern. Wenn wir jung sind, sind wir Schauspieler. Wir spielen Sohn oder Tochter, Freund oder Freundin. Dann entwickeln wir uns weiter und werden Akteure. Wir setzen uns für Ziele oder Werte ein. Schließlich, als junge Erwachsene, werden wir Autoren. Wir weben Erfahrungen, Erkenntnisse oder Wünsche in eine Erzählung über uns selbst.

    Learning: Die narrative Psychologie hilft jedem, seine Lebensgeschichte zu verstehen und weiter zu entwickeln. Es geht nicht um objektive Realität, sondern um den Nutzen für das eigene Leben.

  6. Storytelling in der Unternehmenskommunikation: die Firma greifbar machen

    Corporate Storytelling bedeutet die kommunikative Darstellung eines Unternehmens nach innen (Mitarbeiter) und außen (Kunden, Partner, Presse und Öffentlichkeit). Geschichten werden genutzt, um die Persönlichkeit und das Handeln eines Unternehmens zu beschreiben. Dessen Wurzeln, Vision, Ziele, Strategie, Werte.

    In der Regel gibt es eine Vielzahl von Geschichten, die all das greifbar machen. Werte, zum Beispiel, die auf der Unternehmenswebseite aufgelistet sind, kann sich niemand merken. Geschichten, die diese Werte illustrieren, dagegen schon.

    Von Jeff Bezos, dem Amazon-Gründer und CEO, erzählt man sich etwa, dass sein Schreibtisch eine alte Tür ist. Das ist gar keine richtige Geschichte mit Anfang, Mitte, Ende, aber es reicht, um den Wert Frugalität (Sparsamkeit) zu illustrieren. Das Bild der Tür, die Bezos in der Gründungsphase von Amazon, als Schreibtisch verwendet und behalten hat, ist eine Story in Kurzform, ein Symbol.

    Jedes Unternehmen erzählt Geschichten vom Gründer, vom CEO, von wichtigen Kunden, von Mitarbeitern, von Partnern, Marken und Produkten. Diese Geschichten reflektieren die Seele der Firma viel authentischer als ein Handbuch mit dem Leitbild. Auch im Krisenfall helfen Storys – als Kompass und Korrektiv.

    Learning: Storytelling hilft, ein Unternehmen als lebendigen Organismus darzustellen. Was sich in der Unternehmenskommunikation lernen lässt, ist die Kunst, eine oder wenige Kerngeschichten zu variieren und zu wiederholen. Und zwar so, dass sich möglichst viele Menschen im Umfeld des Unternehmens darin wiederfinden.

  7. Storytelling im Produktmanagement: Stakeholder überzeugen

    Immer häufiger erreichen mich Anfragen von Produktmanagern, die sich wünschen, ihre Produkte intern erfolgreicher zu verkaufen. Warum Storytelling? Weil Produktmanager eben keine Verkäufer sind. Häufig scheuen sie sich, auf den Putz zu hauen, wie es ein Verkäufer vielleicht tun würde. Storytelling hilft ihnen, zu verkaufen, ohne zu verkaufen.

    Es geht eben nicht nur um bessere Features oder Daten als die Konkurrenzprodukte, es geht auch um die Geschichte, die ein Produkt erzählt. Oft hilft schon eine einfache Geste, die einen Bezug herstellt zwischen dem Produkt und demjenigen, der es intern „kaufen“ sollte. Steve Jobs präsentierte Apples MacBook Air in einem Briefumschlag. Das ist die Story. Sie lenkt den Blick auf das Wesentliche: die Schlankheit des Geräts.

    Solche Geschichten, Metaphern oder Symbole brauchen Produktmanager, um ihre Produkte im Unternehmen auf die Erfolgsspur zu bringen. Wie die Macher von Wired. Sie sagten bei der Gründung: Stellt euch Wired einfach vor wie ein Magazin, das aus der Zukunft kommt.

    Learning: Smartes Produktmanagement macht nicht viele Worte. Es zeigt, was das Produkt besonders macht. Und zwar so, dass es jedem Kunden im Unternehmen und jedem Stakeholder unmittelbar einleuchtet.

    Fazit

    Storytelling hat eine grundlegende Definition – das Erzählen von Geschichten -, doch viele Gesichter und Anwendungsgebiete. Dieser Beitrag hat die wichtigsten gezeigt. Wer sein Storytelling verbessern möchte, findet Anregungen in Bereichen, die ihm noch nicht vertraut sind. Wer zum Beispiel großartige Marketing-Storys erzählen kann, wird in der narrativen Psychologie oder im Management lernen, wie er seine Lebensgeschichte erzählt und sich selbst verkauft.