Storytelling und künstliche Intelligenz – über dieses Thema sprach ich mit Christian Ehl. Er ist Geschäftsführer der digitalen Kreativagentur Hillert und Co. und hat mit AI&U: Translating Artificial Intelligence into Business ein spannendes Buch über künstliche Intelligenz geschrieben.
Welche Rolle spielen Storys, wenn ich über künstliche Intelligenz spreche?
Storys spielen eine wesentliche Rolle, weil die Konzepte hinter künstlicher Intelligenz sehr abstrakt sind. Neuronale Netzwerke oder Datenströme sind schwer zu verstehen. Man kann sie sich schlecht vorstellen. Da helfen Metaphern und Vergleiche, Geschichten und Beispiele. Etwa zu den Themen Bild- oder Spracherkennung.
Wie definieren Sie eigentlich Intelligenz?
Eine gewisse Wahrnehmungsfähigkeit, dass ich meine Situation aufnehmen kann. Dann kann ich sie verstehen, das heißt, ich weiß, warum ist die Situation so. Ich kann eine Entscheidung auf dieser Basis treffen und aus der Entscheidung lernen. Das sind für mich die vier Schritte der Intelligenz.
Was unterscheidet menschliche und künstliche Intelligenz?
Menschliche Intelligenz ist sehr flexibel. Künstliche Intelligenz ist dagegen zumindest aktuell sehr eingeschränkt.
Welche Rolle spielt emotionale künstliche Intelligenz?
Das ist noch ungewiss. Hier wird sehr stark geforscht, sowohl auf der Seite der Maschine als auch auf der Seite des Menschen. Man geht davon aus, dass der Mensch bei diesem Thema für lange Zeit viel fähiger sein wird als die Maschine. Eine der Visionen der Zukunft ist ja, dass der Mensch sich auf sein Menschsein konzentrieren kann, weil die Maschinen ihm viele andere Dinge abnehmen.
Künstliche Intelligenz schlägt Menschen im Schach, im Go. Das sind typische Schlagzeilen. Ist das eigentlich die richtige Story? Geht es nicht darum, dass künstliche Intelligenz und Menschen zusammenarbeiten?
Allerdings. Ich glaube, dass diese Storys uns sehr schnell fehlleiten, weil sie den Eindruck vermitteln, dass der Computer intelligenter ist. Das ergibt das falsche Bild. Aufgrund seiner Rechenfähigkeit ist uns der Computer überlegen, er kann viel mehr Varianten in kurzer Zeit durchrechnen, vor allem, wenn große Computer zusammengeschaltet werden.
Doch das gilt nur sehr eingeschränkt. Tatsächlich hat KI heute nur sehr reduzierte Möglichkeiten. Sie kann zum Beispiel einen Datenstrom gut erkennen – Bilder, Texte oder Sprachdaten. Das gelingt ihr besser als Menschen, aber alles andere ist noch in weiter Ferne. Wir sprechen von Narrow Artificial Intelligence.
Historisch gesehen ist Technik aus meiner Sicht immer eine Unterstützung des Menschen. Zum Beispiel wenn künstliche Intelligenz Ärzte bei der Bilderkennung unterstützt, sie aber am Ende auf Basis ihrer Erfahrung die Entscheidung treffen. Solche Geschichten sollten wir viel häufiger erzählen, denn genau da geht es auch hin.
So wird unsere Produktivität mit KI um ein Vielfaches steigen. Daraus lässt sich ein positives Bild zeichnen: Etwa dass die Menschen weniger oder gar nicht mehr arbeiten müssen. Es gibt auch dunklere Geschichten, aber jeder kann sich ja die aussuchen, an die er glaubt. Und ich schaue sehr positiv in eine Zukunft mit KI.
Künstliche Intelligenz erscheint vielen von uns fast mythisch. Sie inspiriert unsere Fantasie. Welche Rolle spielen Filme – auch eine Form von Storytelling – bei der Wahrnehmung und Einschätzung?
Wir sind stark von Science-Fiction-Filmen geprägt. Das ist für die Technik ein Problem, weil die Leute falsche Vorstellungen haben. Die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz werden überschätzt. Oftmals wird sie mit Robotics in Verbindung gebracht, eine eigene Technologie, die von der KI stark profitiert. Filme bringen Menschen dazu, sich abstruse Sachen vorzustellen. Sie überzeichnen.
Ein Großteil der politischen Debatte, dass wir unsere Jobs verlieren, dass die Maschine den Menschen unterwirft, prägt die Debatte aus meiner Sicht viel zu sehr. Da würde es helfen, wenn die Leute sich mehr mit der KI an sich auseinandersetzen und weniger von den Filmen leiten lassen.
Haben Sie einen Lieblingsfilm zum Thema künstliche Intelligenz?
„Her“ fand ich sehr interessant. Einfach aufgrund der Schnittstelle zum Menschen über die Sprache, wie bei Alexa oder Google Home. Ich erinnere mich auch an die „Jetsons“, eine Comicserie aus den 60er-Jahren, die ich in den 1980 in Amerika gesehen haben. Da fliegen sie mit Drohnen. Das ist ja Realität geworden. Genau wie viele Ideen aus „Star Trek“.
Zum Schluss bitte die große Story: Wo steht künstliche Intelligenz und wie wird sie sich entwickeln?
Seitdem es Computer gibt, gibt es Künstliche-Intelligenz-Bestrebungen, also seit den 50er und 60er-Jahren. Es gab einen ersten KI-Winter, als der PC aufkam. Jetzt ist es soweit, dass KI einen zweiten Frühling hat. Das liegt am Internet und dem Zugriff auf Datenströme. Es werden auch viel mehr Daten erzeugt, unstrukturierte Daten wie Texte oder Bilder, wo KI wirklich helfen kann. Außerdem ist die Rechenpower enorm gestiegen und damit auch die Verarbeitungsfähigkeit der Daten. Heute werden neuronale Netzwerke trainiert und Entscheidungen von KI getroffen.
Das alles aber auf Basis der Narrow Artificial Intelligence. Die Maschine kann erkennen, ob auf dem Bild ein Pferd ist. Und zwar besser als der Mensch. Aber wenn ich ihr einen Affen zeige, dann erkennt sie ihn nicht. Ein anderes Beispiel: Wenn das System eine Sprache versteht, versteht es eine andere nicht und muss erst wieder neu trainiert werden. Die Maschine ist also nur in einem engen Rahmen besser als der Mensch.
Wie geht es weiter? Das große Bild einer Superintelligenz – keiner weiß, wie man dort hinkommen wird, wie lange es dauern wird. 20, 30, 50 oder 100 Jahre? Deshalb kann ich mir vorstellen, dass die Leute irgendwann enttäuscht sind und der KI wieder ihre Aufmerksamkeit entziehen.