Wer eine Reise macht, der hat etwas zu erzählen. Die ersten Tage nach der Rückkehr in den Job sind wie ein Fragespiel: Wie war es? Bin so neugierig! Natürlich erzählt man gern. Aber was? Und wie? In diesem Moment lässt sich Storytelling wunderbar einsetzen, sogar strategisch.
Wenn ich von einer Reise zurückkehre, überlege ich mir immer, wie ich davon erzählen werde. Was sind die Schlüsselworte? Die Botschaften? Die Gefühle? Welches Bild von der Reise und von mir selbst will ich transportieren? Dabei geht es nicht um Manipulation. Im Gegenteil: Es geht nur darum, der Erzählung eine Richtung geben. Und so mir selbst und den Zuhörern das Leben einfacher zu machen.
Verzweifelte Versuche, auf Christos orangefarbene Piers im Lago d’Iseo zu gelangen
Vielleicht markieren Reisen den Anfang allen Storytellings. Reisen öffnen den Raum für Unvorhergesehenes. Wecken die Neugier. Und der Erzähler versucht, den Zuhörer mit seinen Worten auf diese Reise mitzunehmen. Genau das ist auch der Kern von Storytelling, ob privat oder von Unternehmen genutzt: Es geht darum, die Leser oder Zuhörer mitzunehmen auf eine Reise. Es geht um Entführung, ein bisschen auch um Verführung – natürlich nur im Kopf.
Die Zutaten:
- eine Heldin oder ein Held
- ein Ziel
- eine Vorstellung davon, wie das Ziel zu erreichen ist
- Hindernisse oder einen Widersacher
- ein Schluss, der drei Möglichkeiten lässt: gewinnen, verlieren oder unentschieden
Aber Sie wollten doch nur vom Urlaub erzählen, höre ich Sie protestieren. Vom Meer, den Bergen, der weichen Luft, den Sonnenuntergängen. Sollen Sie auch. Aber ich empfehle, diese Erlebnisse in eine Handlung einzubauen. So wirken sie stärker, werden besser erinnert, und – falls Ihnen das wichtig ist – haben das Potenzial weitererzählt zu werden.
Ein Beispiel:
Ein Freund von mir erzählte mir von seiner Italienreise. Er ließ fast alle Erlebnisse weg und fokussierte auf ein einziges – sein Besuch bei den Floating Piers des Künstlers Christo auf dem Lago d’Iseo. Oder besser: Sein Fast-Besuch.
Eine schöne Geschichte. Sie handelte davon, wie er, begeistert von den Bildern und der Projektbeschreibung, die er auf Christos Webseite entdeckt hatte, verzweifelt versuchte, auf die orangefarbenen Piers zu gelangen, mehrere Anläufe nahm – und aufgab.
Die Menschenmassen, mangelnde Ausschilderung, die italienische Polizei, die selbst Motorradfahrer wie ihn in die Pampa schickte. Die Mini-Fähren. Die Fußmärsche über steile Treppen statt am flachen Ufer – wegen der Pendelbusse. Alles schien sich gegen ihn verbündet zu haben. Kein Trick wollte helfen. Selbst im Morgengrauen keine Chance.
Als er beschloss umzudrehen, hatte er nicht einmal Fotos. Piers überfüllt. Vor lauter Menschen nicht mehr zu erkennen. Selbst von weit oben.
Vielleicht markieren Reiseberichte den Anfang von Storytelling. Sie wecken Neugier. Man weiß nie, was passiert
Wie gesagt: Ein Held. Ein Ziel. Widerstände. Gewinnen, unentschieden oder – wie in diesem Fall – verlieren. Das ist es schon. In diesem Schema lässt sich jede Urlaubsgeschichte erzählen. So hört auch jeder gern zu, weil von Anfang an Spannung da ist: Wird der Erzähler sein Ziel erreichen? Was wird noch alles passieren, wenn die Geschichte schon Kilometer vor dem See mit Polizeisperren beginnt? Wie hatte er sich das nur so einfach vorstellen können? Wie gut, dass ich das nicht gemacht habe …
Die Blumen am Wegesrand, die Farbe des Seewassers, die steilen Felswände, der Duft der Menschenmassen, die Erinnerung an den Besuch in Brescia – all das lässt sich in die Erzählung einbauen. Für sich allein wären solche Details wenig spannend.
Natürlich lässt sich auch strategisch auf solche Urlaubsstorys blicken. Die Ausgangsfrage sollte dabei sein: Welches Bild möchte ich gern von mir vermitteln? Bin ich ein Abenteurer? Einer, der gern abhängt? Ein Kämpfer? Einer, der weiß, wann es gut ist? Was auch immer. Wie die Reise erzählt wird, richtet sich dann genau nach der Antwort auf diese Frage.