Storytelling und digitale Transformation – darüber sprach ich mit dem Consultant Peter Pries. Peter ist Experte für das Management digitaler Wandlungsprozesse sowie für den erfolgreichen Einsatz von agilen Methoden wie Design Thinking.

Was ist die Story der digitalen Transformation?

Bei den meisten Unternehmen: überleben.

Kein Leid, keine Digitalisierung?

Zu 70 % trifft das zu. Zumindest im deutschen Mittelstand. Meint: Ohne Transformation sind wir nicht mehr wettbewerbsfähig, können nicht mehr profitabel arbeiten. Eine Firma stellt fest, dass sie in vielen Ländern aktiv ist, und jetzt werden Investitionen fällig, die aber übergreifend gelten. Etwa in CRM, E-Commerce oder Produktinformationsmanagement. Das lohnt sich für einzelne Märkte meist nicht. Hier sind zentrale Lösungen und Architekturen gefragt.

Die Ausnahmen?

Otto Bock etwa, Weltmarktführer Orthopädietechnik. Es ist Teil ihres Nutzenversprechens, Menschen nach einem Unfall oder einer Krankheit das bestmögliche Leben zu ermöglichen. Dazu brauchen sie natürlich Technologie. Aber wer nicht so stark auf Technologie angewiesen ist, erlebt eine andere Story.

Und die wäre?

Meist beginnt es mit einzelnen Projekten ohne Strategie, dann wird es schnell zu komplex. Also zurück auf Los und Neustart.

Ist das nicht auch eine Sache der verführerischen Story? Sie ließe sich ja von Anfang an anders erzählen, dass keiner sich über den Verlauf Illusionen macht. Vielleicht so: Wir nähern uns in Schritten, und die Schritte wären …

Die Unternehmen, die es gut machen, die erzählen die Geschichte so. Die überlegen sich auch, wie nehme ich die Mitarbeiter mit? Digitalisierung erfordert selbständig denkende Menschen. Da braucht es eine Roadmap und natürlich die Antwort auf die Frage, warum machen wir was? Wenn die Leute nicht verstehen, was wann warum gemacht wird, dann steigen sie aus. Dafür brauche ich eine konsequente Transformationsstory.

Was heißt das?

Die Story braucht einen längeren Spannungsbogen. Da ist eine ungeduldige Mannschaft, die will alles, nur nicht zwei Jahre Leidensweg. Nicht so wie bei Odysseus.

Da waren es zwanzig Jahre, oder?

Ja, gut. Für die meisten Arbeitnehmer sind zwanzig Jahre schwer vorstellbar. Aber zwei Jahre sind auch schon verdammt lang. Alle glauben, die digitale Transformation geht ganz schnell. Quasi über Nacht. Stimmt nicht. Es ist eine Abenteuerreise. Mit Höhen und Tiefen. Eine Change Story.

Agile Unternehmen sind vorn, sie denken in User Storys

Gibt es einen Endpunkt?

Ja, aber der ist nicht fix, wie es sich viele wünschen würden. Es ist mehr eine kulturelle Wandlung. Die Idee ist, eine neue Kultur zu schaffen, die Veränderungen und Fehler umarmt, die agil ist.

Könnte man das vielleicht so sagen: Wir haben vorher Spielfilme gemacht, jetzt machen wir Serien?

Ja, das passt. Im Extremfall: Jetzt machen wir Daily Soap! Wir haben 2-3 Jahre an einem Film gearbeitet, jetzt muss ich täglich priorisieren, mich fragen, was bringt meinen Kunden den meisten Nutzen?

Für dich ist Design Thinking ein großes Thema. Wie gehört das in den Kontext Storytelling und digitale Transformation?

Wir denken in User Storys! Ich als Kunde erwarte, dass eine Reklamation innerhalb von einer Stunde bearbeitet wird. Technologie wird durch so eine Kundengeschichte am Menschen ausgerichtet. Ich muss verstehen: Was braucht der Kunde? Schnelles Feedback zählt. Verbesserung. Das ist der Weg.

Design Thinking folgt, wie auch Scrum, einem Drehbuch?

Genau. Google hat das perfektioniert, mit den Google Design Sprints. Es gibt klare Regeln, ein Drehbuch, Rollen, Methoden. Alle kreativen Prozesse benötigen das.

Das eigentliche Thema ist, wie Menschen in Zukunft leben und arbeiten

Ist das die oberste Mission, ein schnell lernendes Unternehmen zu kreieren?

Mit Sicherheit. Es geht um Tempo, Kundennähe und Wettbewerbsvorteile. Die Chance, viel Geld zu versenken, ist gering. So eine Kultur ist für mich der Schlüssel zum Erfolg.

Wenn ich mir einen Spielfilm ansehe, dann wird im ersten Teil der Held in seiner Umgebung vorgestellt, im zweiten Teil kämpft er gegen Widerstände an, bis sich im dritten Teil alles löst, zum Guten oder zum Schlechten. Sollte der Mittelteil im Business aus deiner Sicht miterzählt werden?

Unbedingt. Die 70 % Stress gehören dazu. 2/3 aller Digitalisierungsprojekte in Deutschland scheitern. Wie soll man sonst lernen? Airbnb ist für mich ein gutes Beispiel. Die erzählen, was sie alles falsch gemacht haben. Wie sie gelernt haben. Sie bügeln keine Höhen und Tiefen in der Unternehmensgeschichte weg.

Eine ehrliche Story?

Genau.

Wie lange erzählen wir noch die Story von der digitalen Transformation?

Ich gebe ihr noch fünf Jahre.

Und was erzählen wir dann?

Wir werden über den kulturellen und menschlichen Aspekt reden. Digitale Transformation ist primär eine Geschichte der Menschen. Ist ja viel einfacher eine Software zu kaufen, als eine Kultur zu verändern. Das eigentliche Thema ist aber, wie Menschen leben und arbeiten. Start-ups sind viel sensibler beim Thema Unternehmenskultur als Traditionsunternehmen. Sie verstehen, wie erfolgskritisch die Kultur ist.