Data Storytelling – was verbirgt sich hinter dieser neuen Disziplin? Ein Gespräch mit Frank Pörschmann, Vize-Präsident des Digital Analytics Associations e.V., Deutschlands größtem Fachverband für Datenexperten. Zugleich ein ausführlicher Grundlagenartikel über dieses neue und für Storyteller äußerst spannende Thema.

Daten und Storytelling, wie passt das zusammen?

Storytelling ist heute ein Schlüssel für erfolgreiche Datenanalyse. Nicht umsonst sind aktuell die meistbesuchten Weiterbildungsangebote für professionelle Datenanalysten Storytelling-Seminare.

Einen Datenprofi kennzeichnet, dass er komplizierte, vielschichtige und abstrakte Erkenntnisse am Ende verständlich und kompakt vermitteln kann. Er muss damit zwei Sprachen beherrschen und übersetzen können: Data – Business / Business –Data.

Hier liegt aber auch ein Problem. Die Ausbildung des Datenanalysten in Deutschland fokussiert rein auf das methodische Handwerk, weniger auf die Kommunikation. Dabei sind wir doch das Land der Denker und Dichter. Die Daten-Dicht-Kunst ist hierzulande leider noch wenig entwickelt.

Was macht Storytelling in Bezug auf Daten so relevant?

Nach wie vor gilt in Organisationen jeder Art: „Nichts ist teurer als eine schlechte Entscheidung.“

Untersuchungen der Entscheidungswissenschaften zeigen, dass die Qualität einer Entscheidung viel weniger von den Erfahrungen eines Managers abhängen als bisher angenommen. Die Güte einer Entscheidung hängt vorrangig von der verfügbaren Wissens-& Informationsbasis ab sowie der Fähigkeit, mögliche Folgen abzuschätzen. Das verändert die Rolle des Entscheiders und gibt einem Datenexperten die Berechtigung, als zusätzliche Informationsquelle zum Entscheidungsteam zu gehören.

Da aber nur wenige die Sprache der Datenwelt beherrschen, muss Sie übersetzt werden. Nicht in Zahlen, Fakten und Wahrscheinlichkeiten, sondern idealer Weise in gute Geschichten. Hier helfen viele der Instrumente des Storytellings – Erzählstrukturen, Dramaturgien, Kenntnisse über die Zuhörer, Kennzeichnung von Protagonist und Antagonist usw.

Data Storytelling stellt den Kunden als Helden ins Zentrum

Worauf ist zu achten beim Storyfizieren von Daten?

Data Storytelling ist eine noch junge Disziplin. Hier gibt es nicht die eine Methode. Auch wenn strukturliebende Datenwissenschaftler sich das wünschen. Hier sind Kreativität und Empathie gefragt, vor allem aber ausreichend Zeit, damit Stories sich entwickeln können.Aus meiner Erfahrung sind 6 Punkte entscheidend:

  1. Sprache und Denkmuster seiner Auftraggeber kennen(lernen) und daran anknüpfen
    Schon bei Auftragserteilung und Zwischenabstimmungen aufmerksam auf Sprache und Strukturen des Gegenübers achten, z.B. blumig oder martialisch, konkret oder in Metaphern, ergebnis- oder prozessorientiert. Sprache ist oft sehr entlarvend, auch im Top-Management.
  2. Die Entscheidungsfrage in den Mittelpunkt stellen
    Es geht nicht darum, was die Daten sagen, sondern ausschließlich darum, wie Sie zur Entscheidungsfrage stehen. Übrigens: Es ist durchaus legitim, als Datenexperten seinen Auftraggeber zu einer klaren Artikulation seiner Frage zu zwingen. Das kann auch schon einmal mehrere Tage dauern.
  3. Spannungsmomente suchen, Dramaturgien einbauen
    Nichts ist ermüdender, als eine Aneinanderreihung von Zahlen, Daten und Fakten. Fakten stützen Kernaussagen. Je bildhafter und emotionaler die Kernaussage, umso besser. Die einfachste Form: „Sie haben im Vorgespräch X erwartet, jetzt schauen wir mal, was wirklich ist.“ Profis erarbeiten vollständige Dramaturgien mit Rollen und mehrschichtigen Konfliktebenen.
  4. Zeit nehmen
    Hier sehe ich den Killer Nr.1. Selbst die besten Datenprofis vernichten hier die Wirkung exzellenter Arbeit. Nicht selten wird erst am Vortag zum Präsentationstermin die Unterlage erstellt. Der Klassiker: Zeit in min / 5 = Anzahl der Folien. Dann wird gesammelt. Furchtbar! Eine gute Story braucht Zeit und Systematik. Erfahrene Experten beginnen schon zu Beginn der Arbeit einen ersten hypothesenbasierten Strawman zu entwickeln, quasi ein Storyboard. Selbst wenn die Daten später ganz andere Erkenntnisse ergeben als erwartet, bleibt die Struktur bestehen. Einige Top-Management-Beratungen arbeiten seit Jahren nach diesem Prinzip.
  5. Es gibt nur einen Autor
    Haben Sie schon einmal versucht, im Team ein Gedicht zu schreiben? Kollaboration & Kunst haben Ihre Grenzen. Daher: Einer muss das Storytelling anleiten und führen. Die Rolle des Teams ist es, sicherzustellen, dass die Story „funktioniert“ sowie Ideen dazu einzubringen. Das Ziel: Die Story muss verständlich, relevant und plausibel sein, bereichern und den Zuhörer (also Auftraggeber) eine Lösung an die Hand geben.
  6. Der Kunde ist der Held – ob tragisch oder komisch- Hauptsache erfolgreich
    Auch in der Datenwelt greift die Struktur der klassischen Heldenreise. Der Kunde/Auftraggeber ist hier schon qua Amt und Funktion der Protagonist. Alles was er vorantreibt, geschieht mit dem Ziel des Erfolges. Die Entscheidungsfrage kommt dem Kampf zwischen Gut und Böse gleich, der Ausgang ist ungewiss, es gilt zwischen verwobenen Konflikten zu bestehen (in der Businesswelt sind dies Ziel-, Werte- oder Ressourcenkonflikte). Am Ende geht es um den Plan, der die Spannungen auflöst und den Kunden Held sein lässt – aber eben faktenbasiert.

Gibt es Gefahren, etwa wegen zu großer Vereinfachung?

Die Hauptgefahren lauern in der Unvollkommenheit des menschlichen Denkens. Da ist einerseits die Gefahr des Bias, andererseits die menschliche Schwäche zwischen Korrelationen mit Kausalitäten unterscheiden zu können.

Als Bias bezeichnet man unterbewusste Beurteilungstendenzen im eigenen Denkprozess. Es gibt eine Fülle bereits erforschter Biases, die sich grundsätzlich vier Kategorien zuordnen lassen, solche die verursacht sind durch:

  1. zu viele Informationen
  2. zu wenig Bedeutsamkeit
  3. starken Handlungs- / Entscheidungsdruck
  4. Begrenzung der menschlichen Merkfähigkeit

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Eine ausführliche Übersicht der kognitiven Biases findet sich hier.

Jeder, Datenexperte und Entscheider, unterliegen ihrem eigenen Biases. Wichtig ist diese im Vorfeld bestmöglich zu filtern und nicht unterschwellig in die Analyse oder die späteren Story mitzuschleppen.

Das Problem der missverstandenen Korrelation findet sich alltäglich in den Medien. Zeigen Ereignisse eine ähnliche Entwicklung so spricht man von korreliert, unwissend ob diese direkt, mittelbar oder rein zufällig ähnlich sind. Kausal sind Ereignisse, wenn diese direkt voneinander abhängig sind. So zeigte beispielsweise eine US Studie einen Zusammenhang zwischen Menschen die Tatoos tragen und ihrer Wahrscheinlichkeit straffällig zu werden. Einen kausalen Zusammenhang gab es nicht. Für die Breitenpresse schien das dennoch „eine gute Story“ und ausreichend plausibel, sie passte auch so wunderbar in ein antrainiertes Klischee (was ja auch ein Bias ist). Experten fanden später gar gravierende methodische Mängel in der Untersuchung, da war die Story aber schon in den Köpfen.

Eine Reihe fadenscheiniger Korrelationen finden sich z.B. auf der website „Spurious-Correlations“ (http://www.tylervigen.com/), die ich jedem zu Unterhaltung empfehlen kann. So korreliert dort z.B. die Scheidungsrate im US-Bundesstaat Maine mit dem durchschnittlichen US-Margarine-Konsum.

Data Storytelling übersetzt die Ergebnisse von Hochleistungsrechnern in die wahre Welt

Ist Big Data eine besondere Herausforderung? Warum?

Das Wort alleine ist schon eine Herausforderung. Es ist einerseits geprägt durch die Visionen der großen IT-Unternehmen, andererseits emotional aufgeladen durch die Horrorvisionen der Verbraucherschützer. Rein technisch spricht man von Big Data, wenn vier Bedingungen erfüllt sind. Es sind:

  1. massive Daten-Mengen
  2. in Echtzeit
  3. in unterschiedlichen, nicht vorhersehbaren Strukturen und
  4. mit wechselndem, unscharfen Informationsgehalt.

Technisch ist das nicht einmal mehr die Herausforderung. Die Gefahren liegen in der Nutzung und Interpretation. Je mehr Daten ich habe und zueinander in Bezug setze, umso mehr Korrelationen kann ich finden. Damit lassen sich auch um so mehr Geschichten ableiten, auch solche, die eine schlechte Entscheidung stützen. Hier ist schon eine gehörige Portion Expertenwissen erforderlich, um die Ergebnisse von Hochleistungsrechnern in die wahre Welt zu übersetzen.

Gibt es Beispiele für gute und missglückte Daten-Stories?

Gute Geschichten können sehr unterschiedlich in Inhalt und Struktur sein. Am Ende haben Sie eines gemeinsam: Der Entscheider kann seine Entscheidung selbst klar artikulieren und anderen mitteilen, gleichzeitig empfand er den Weg zur Entscheidungsfindung flüssig und rund ohne zu wissen warum. Das eben ist die Magie des Storytelling. Diese Kunst bleibt dem Zuhörer verborgen.

Ich hatte schon einmal den Fall, da ein Datenwissenschaftler zu einem Vorstandstermin mit 165 verschiedenen Häufigkeitsverteilungen kommen wollte. Für den Experten war meine Kritik nicht nachvollziehbar. „Das sind nun mal die Fakten“, so seine Antwort.

In einem anderen Fall wollte ein Kunde wissen, ob er die Entwicklung eines neuen digitalen Produktes beschleunigen oder bremsen solle und hoffte ein intelligenter KI-Algorithmus könne ihm die Zukunft vorhersagen. Hier galt es erstmal, die Entscheidungsfrage zu präzisieren, die auch durch Daten analysierbar ist. Management-Verantwortung können weder Daten-Experten noch Algorithmen übernehmen.

Data Storytelling unterstützt gute Entscheidungen

Wie kommunizieren Datenexperten eigentlich unter sich?

Für Außenstehende sprechen Datenexperten eine Fremdsprache, mit fremden Vokabeln und undurchdringlicher Grammatik. Für Daten-Experten ist es einfach nur ihre Fachsprache. Anders als vielleicht in der Linguistik besticht die Sprache der Mathematik durch ihre Eindeutigkeit und Exaktheit. Und dennoch kommt es auch hier unter Profis regelmäßig zu Missverständnissen.

Die Herausforderung liegt in der Übersetzung. Wenn sich ein Daten-Experte mit Entscheidern oder anderen Experten austauschen muss, braucht es Übersetzungs- bzw. Fremdsprachen-Kompetenz. Genau das ist Data Storytelling.

Geht das: Datenexperte und Storyteller in Personalunion?

Nichts spricht dagegen. Die Realität aber zeigt aber, die Kombination ist noch sehr selten. Zum einen liegt es an der Ausbildung. Storytelling gehört nicht zum Repertoire der Daten-Ausbildung. Daten-Experten sind aber auch oft von Natur aus Liebhaber von Exaktheit und Abstraktion. Nicht alle wollen überhaupt eine neue auch emotionale Sprache lernen und sich darin kreativ ausprobieren.

So hat sich schon heute die Rolle des Daten-Visualisierers und Data Storytellers ausgeprägt. Gute Erfahrungen damit kommen aus dem klassischen Consulting. Datenwissenschaftler und im Storytelling erfahrene Unternehmensberater in einem Team sind erfahrungsgemäß sehr wirksame Konstellationen.

Wie in Fremdsprachen gilt auch hier: Mann muss ja nicht gleich die neue Sprache des Storytelling fließend beherrschen, schon ein erstes Grundvokabular ist nützlich, um sein Können besser zu transportieren.

Gibt es bevorzugte Techniken?

In der Datenwelt unterscheiden wir grundsätzlich zwischen der Disziplin der Visualisierung und dem eigentlichen Storytelling.

Bei der Visualisierung gibt es umfangreiche Techniken, Methoden und bereits hunderte unterschiedliche Visualisierungsformate. Von einfachen zweidimensionalen Verteilungen bis hin zur mehrdimensionalen, mehrfarbigen Zuordnungen und fließenden Strukturen. Diese beherrschen die Data Visualizer und haben dazu bereits auch globale Auszeichnungen. Auch dort verschwimmen die Grenzen zwischen Grafik und Kunst.

Im Gegensatz dazu ist Data Storytelling noch sehr jung. Es ist wenig systematisiert und wenn wir ehrlich sind, experimentieren wir alle noch damit. Sehr wohl aber helfen Erkenntnisse, Grundstrukturen, Leitfäden und Checklisten aus dem klassichen Storytelling. Methoden wie Storyboards und Rollenprofile sind übertragbar und auch die No-Go’s sind gleich. Was einen Roman kaputtmacht, zerstört auch eine Daten-Geschichte. Neu und anders im Data Storytelling ist der Fokus auf wirtschaftliche Zusammenhänge und Konflikte sowie die Beschäftigung mit der Entscheidungsfrage.