Storytelling in Reden, worauf kommt es an? Darüber sprach ich mit Jacqueline Schäfer. Sie ist Präsidentin des Verbands der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS) und als Autorin, Unternehmensberaterin mit dem Schwerpunkt Kommunikation und Mediencoaching und natürlich als Redenschreiberin für Politik und Industrie tätig.
Vielleicht beginnen wir ganz allgemein: Woran erkenne ich eine gute Rede?
Als Zuhörerin oder Zuhörer vor allem daran, dass man gerne zuhört und auch nach Ende der Rede sagen kann, was die Kernbotschaft ist.
Als Rednerin oder Redner spüre ich während der Rede, ob das Auditorium darauf eingeht, ob es reagiert.
Und als Rhetorikexpertin erkenne ich eine gute Rede neben dem eben Erwähnten auch an schönen Sprachbildern und eingängigen und auch überraschenden Formulierungen, die nicht abgegriffen sind und den Inhalt verständlich transportieren.
Und eine schlechte?
Wenn es schwerfällt zu folgen, nicht erkennbar ist, was Rednerin oder Redner will. Es gibt auch Fälle, da ahnt man, was das Ziel der Rede sein soll, aber sie bewirkt genau das Gegenteil. Es gibt Beispiele von Redeauftritten, die den Kick off für einen Change-Prozess einleiten sollten. Statt die Belegschaft zu motivieren, wurden jedoch Ängste und Frust ausgelöst.
Das Storytelling in Reden muss Bilder entstehen lassen, die Gefühle auslösen
Welche Rolle spielt Storytelling in Reden?
Eine ganz wichtige. Ich rate meinen Kunden gerne, sich die Redesituation wie eine Runde um ein großes Lagerfeuer vorzustellen. Ihre Rolle ist es, zu erzählen, wo der Säbelzahntiger zuletzt gesichtet wurde – ohne dass Kilometerangaben gemacht werden, aber so, dass jeder den Ort erkennen würde, wenn man ihn erreichte. Man muss Bilder entstehen lassen, die Gefühle auslösen – so kann man eine Beziehung zum Publikum aufbauen und komplexe Sachverhalte herunterbrechen. Gutes Storytelling sorgt dafür, dass das Publikum das Gesagte nicht nur versteht, sondern sich auch daran erinnert. Man spricht gewissermaßen direkt ins Limbische System der Leute.
Sie haben gerade wieder die CEO-Reden der DAX 40 auf Hauptversammlungen bewertet. Sind deutsche CEOs gute Redner?
Der Verband der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS) macht das seit 2014. In diesen Jahren haben wir eine enorme Verbesserung der Reden festgestellt – aber auch der Redeauftritte. Das beste Manuskript hilft nicht, wenn es an der Performanz mangelt. Da hat sich richtig viel getan. Auch, weil sich immer mehr CEOs professionelle Unterstützung holen. Das war nicht immer so. Trotzdem ist noch Luft nach oben. In diesem Jahr haben wir festgestellt, dass es von den zehn Neulingen im DAX, der seit 2022 40 statt wie bisher 30 Unternehmen umfasst, keiner in die Top Ten geschafft hat. Die Unternehmen, die schon im DAX 30 gelistet waren, haben sich längst professionalisiert, was ihre Redeauftritte angeht. Ich gehe davon aus, dass die Neulinge das auch tun werden.
Detaillierte Analysen von 40 CEO-Reden
Ich stelle mir sehr aufwändig vor, 40 Reden zu bewerten. Wie gehen Sie vor? Was sind die Kriterien, wie läuft der Prozess?
Ich bin unseren Mitgliedern unheimlich dankbar, dass sie alle Jahre wieder dieses ehrenamtliche Projekt möglich machen. Es ist ein Kraftakt. Unsere Projektleiter Christian Gasche und Patrick Maloney haben im Herbst 21 angefangen, Analysten zu rekrutieren. Jedes Unternehmen wurde von zwei Analysten, die sich miteinander beraten haben, bewertet. Regelmäßige digitale Meetings, in denen sich alle miteinander ausgetauscht haben, trugen ebenfalls zur Objektivierbarkeit der Bewertungen bei. Zwar haben alle Analysten eine ausgefeilte Bewertungsmatrix mit sechs Kategorien und an die 30 Kriterien zur Verfügung gehabt, aber regelmäßig wurden zudem die eigenen Bewertungen mit anderen abgeglichen.
Ziel war es, ein Gefühl für gemeinsame Standards herauszuarbeiten. War etwa die Argumentation in dieser Rede wirklich herausragend – und wenn ja, warum? Oder war sie nur sehr gut? Nachdem alle Analysen vorgelegen haben, hat ein Dreierteam – Christian Gasche, Patrick Maloney und Peter Sprong – alle Top-Ten-Reden nochmals gezielt im Quervergleich gesichtet. Gab es Abweichungen zu den vorliegenden Analysen, wurde nochmals mit dem Tandem geredet. Alles passiert ehrenamtlich und die Analysen erhalten die Top Ten kostenlos.
Welche Rolle spielt Storytelling im Sinne von Geschichten erzählen in solchen CEO-Reden? Beispiele!
Mein Kollege Patrick Maloney hat festgestellt, dass mit dieser HV-Saison eine neue Zeit in Bezug auf das Storytelling in Reden eingeläutet wurde.
Tim Höttges hat das Bild des schwarzen Schäferhundes verwendet, um seinen Anspruch von einem lückenlosen Netz zu verdeutlichen. Mit Storytelling und Requisite erklärte er, warum WLAN im Zug schwierig ist, aber wie das Problem gemeinsam mit der Deutschen Bahn gelöst werden soll.
Kurze, klare Sätze, denen man gut folgen kann
Mercedes-Chef Ola Källlenius erzählte die berührende Geschichte eines Waisenkindes, das „beim Daimler“ eine Chance erhält. Erst nach und nach wird klar: Die Rede ist von Wilhelm Maybach – eine historische Vorlage, die Källenius nutzt, um eine aktuelle Parallele zu ziehen: Auch Flüchtlingen aus der Ukraine eröffnet das Unternehmen berufliche Chancen.
Roland Busch von Siemens dankt seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht nur, sondern er stellt gleich fünf von ihnen persönlich vor – verpackt in kurze Geschichten, die wesentliche Meilensteine des zurückliegenden Geschäftsjahres anschaulich und überzeugend transportieren.
Was können wir von Herrn Höttges, dem Telekom-CEO, lernen der seit 2017 den Spitzenplatz hält?
Höttges spricht in kurzen und klaren Sätzen, denen man gut folgen kann. Alles wirkt dabei sehr natürlich: seine Bewegungen, die Sprechweise. Die Reden sind ihm einerseits auf den Leib geschrieben, andererseits macht er sie sich auch zu eigen. Höttges nimmt die HV-Rede ernst. Noch nie haben wir zweimal dasselbe an seinem Auftritt kritisiert. Das legt den Schluss nah, dass er kontinuierlich an sich und seinem Auftritt arbeitet und sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruht. Das ist wirklich beeindruckend und vorbildlich.
Als Führungspersönlichkeit nicht unsichtbar bleiben
Was können wir von einem eher negativen Beispiel Ihrer Wahl aus dem Kreis der CEO lernen? Was sollten wir unbedingt vermeiden?
Der VRdS will ermutigen. Deshalb nennen wir keine konkreten Negativbeispiele, auch wenn das vielleicht Reichweite bringen würde.
Generell gilt: lange Zahlenreihen vorzutragen, ohne sie in den Kontext zu setzen, als Führungspersönlichkeit unsichtbar zu bleiben, das Publikum nicht anzusehen, Charts zu überladen und keine klaren Botschaften zu haben – das alles sollte man unbedingt vermeiden.
Aus Ihrer Erfahrung als Trainerin und Coach: Wie erreicht man solche Spitzenleistungen? Wie ist der Weg dorthin?
Der erste Weg zur rhetorischen Spitzenleistung ist die Erkenntnis: Reden muss man üben. Je wichtiger der Redeanlass ist, desto intensiver muss ich mich damit beschäftigen – auch als erfahrener Redner. Dazu gehört der enge und konstruktive Austausch mit Redenschreiberinnen und Redenschreibern, vielleicht auch ein Auftrittstraining. Das Ablesen vom Teleprompter muss unbedingt trainiert werden.
Welche Bedeutung hat Redekunst Ihrer Meinung nach generell im Kontext von Leadership? Oder anders: Muss ein CEO denn ein guter Redner sein?
Die Rede ist ein essentieller Bestandteil der Kommunikation – und zwar nach außen und innen. Wichtig ist, dass Führungskräfte sich nicht inflationär, aber regelmäßig an die Belegschaft wenden. Nicht nur bei unangenehmen Themen oder nur, wenn es positive Botschaften zu vermelden gibt. So vermeidet man es, als Schönwetter-Redner wahrgenommen zu werden oder schon mit der Ankündigung einer Rede Angst auszulösen.
Wichtig ist auch, die eigenen Leute nicht mit den Inhalten einer öffentlich gehaltenen Rede zu überraschen. Wenn bei einem öffentlichen Auftritt etwas verkündet werden soll, muss sichergestellt sein, dass die Belegschaft parallel dazu informiert wird und nicht erst aus der Zeitung von Veränderungen erfährt.
Reden sind Instrumente der Führung
Führungskräfte sollten mehr Zeit und Aufmerksamkeit in Kommunikation investieren, da kein Change-Prozess ohne die richtige kommunikative Begleitung erfolgreich sein wird. Reden sind Instrumente der Führung – wenn Reden und Handeln kongruent sind. Führungskräfte sollten gut reden können, aber dann auch Taten sprechen lassen. Reden, ohne zu handeln geht genauso nach hinten los wie handeln ohne zu reden.
Wie ist das Verhältnis von Männern und Frauen bei CEOs von DAX-40-Unternehmen? Lassen sich Unterschiede im Redestil erkennen?
In diesem Jahr hat mit Belén Garijo von Merck erstmals eine Frau auf einer HV der DAX 40 gesprochen. Sie sprach auf Englisch und wurde simultan übersetzt, was die Vergleichbarkeit im Feld der Wettbewerber etwas erschwert hat. Mit einem äußerst souveränen und kompetenten Auftritt schaffte sie es dennoch auf Anhieb auf einen der Spitzenplätze im oberen Viertel.
Im kommenden Jahr wird Garijo weibliche Verstärkung erhalten: Bei Fresenius Medical Care folgt die Managerin Carla Kriwet auf den bisherigen CEO Rice Powell. Ich freue mich darüber und hoffe, dass weitere folgen.