Welche Rolle spielt Storytelling im Design Thinking? Dazu interviewte ich Toralf Gerstäcker, Design Thinker und Consultant bei DB Systel GmbH, dem Digitalpartner der Deutschen Bahn. Er beschäftigt sich seit 2015 mit Design Thinking im Kontext großer Organisationen und auch in der schulischen Ausbildung.

Storytelling und Design Thinking – was ist der Link, der beides verbindet?

Die Nutzerzentrierung. Für mich als Design Thinker ist neben dem Problemverständnis die Sicht der Nutzer entscheidend, deren Wünsche, Bedürfnisse und Probleme bestimmen den Fortschritt und das Ergebnis eines Design Thinking Projekts. Und auch Storytelling als ältestes bekanntes System zum Austausch von Wissen zwischen Menschen stellt Nutzer als Sender oder Empfänger in den Mittelpunkt.

Was ist deiner Meinung nach wichtig für gutes Design Thinking?

Design Thinking ist ein Kunstwort und es zielt darauf ab, wie ein Designer zu denken. Design mein nicht nur Aussehen, sondern auch die Funktionsweise eines Produktes oder Services.

Was sind die wichtigsten kommunikativen Herausforderungen im Design Thinking?

Für mich ist es das Erreichen eines definierten Standpunktes im Rahmen eines Design Thinking Projekts. Hier entscheidet sich, ob alle Beteiligten eine Herausforderung klar und verständlich auf einen gemeinsamen Nenner bringen können.

Die Nutzer und deren Wünsche und Bedürfnisse verstehen

Geht es nur um die Kommunikation der Herausforderungen oder der Endergebnisse? Oder auch um den Prozess?

Storytelling kommt immer dort zum Einsatz, wo ein gemeinsames Verständnis aufgebaut oder eine Situation, ein Erlebnis oder eine Herausforderung verstanden werden muss. Wie oben beschrieben werden beim Storytelling im Design Thinking eben nicht nur Wissen, sondern auch Erfahrungen und Erlebnisse ausgetauscht. Und weil es keine einfache Aufzählung ist, sondern oft noch mehr in dem Gesagten drinsteckt, hilft mir Storytelling sehr. Dabei ist es mir sehr wichtig zu fragen „Warum ist das so?“ oder „Was steckt dahinter?“. Nur so lernen wir mehr über unsere Nutzer und deren Wünsche und Bedürfnisse.

Gibt es Vorlagen, Muster, Rezepte wie zum Beispiel die User Story im Scrum?

Aus meiner Sicht ist das bekannte Muster der Heldenreise durchaus auch für uns relevant. Wenn es an konkrete Rezepte, Muster oder Beispiel geht, kommt es sehr auf die individuellen Erfahrungen der Teilnehmer eines Design Thinking Projektes und dessen Kontext an. Ein allgemeingültiges Muster vergleichbar mit der User Story gibt es aus meiner Sicht nicht.

Als Beispiel für ein Hilfsmittel kann man das One-Sentence-Product-Statement heranziehen. Es „erzählt“ in einem Satz, was ein Produkt oder einen Service für eine bestimmte Nutzergruppe und in einem bestimmten Kontext ausmacht.

Wie entstehen Storys bei euch?

Bei uns entstehen die Stories in und aus Gesprächen mit Nutzern. Solche Gespräche werden im Design Thinking während der Phase „Beobachten“ durchgeführt und sind qualitative Interviews. Dabei werden, basierend auf Hypothesen, Fragen gestellt und vor allem Emotionen im Zusammenhang mit Produkten und Dienstleistungen erkundet. Und auch jedes Gespräch während des Tests eines Prototyps ist ein solches Gespräch, aus dem manchmal sehr hilfreiche Stories entstehen. Außerdem entwickeln sich die Stories weiter, wenn sie im Team noch einmal reflektiert werden und vielleicht sogar durch weitere Erfahrungen angereichert werden.

Wichtig sind kurze, aussagekräftige Storys

Wie erzählt ihr sie? Welche Medien nutzt ihr?

Hier gibt es natürlich wie fast in allen Bereichen die Trennung zwischen vor der Pandemie und jetzt: Wenn immer es möglich ist, erzählen wir unsere Geschichten persönlich in kleinen Gruppen von Menschen. Da wir im Projekt immer sehr auf die Zeit achten, sind es kurze und möglichst aussagekräftige Stories. Natürlich gibt es in der aktuellen Lage meist nur die Möglichkeit, online mit Menschen zu sprechen. Das funktioniert vor allem dann gut, wenn wir Bilder, Videos oder Prototypen in die Stories einbauen.

Nutzt ihr auch Metaphern oder Claims, also Kurzformen, um Dinge rational und zugleich emotional auf den Punkt zu bringen?

Ja, ohne geht es gar nicht. Das fängt mit der Verwendung der Glühbirne als Repräsentation von Ideen an und setzt sich bei der Verwendung von farbigen Klebezetteln fort, wenn wir zum Beispiel die 6 Denkhüte nach de Bono verwenden und zur Problemlösung unterschiedliche Hüte aufsetzen. Beim Thema Nutzerorientierung geht es für uns immer darum, in die Schuhe der Nutzer zu steigen. Und nicht zuletzt könnte man auch unsere Prototypen im Design Thinking als Metaphern verstehen: Es sind mit den einfachsten Mitteln und schnell hergestellte Repräsentationen einer Lösungsidee.

Welche Rolle spielt eigentlich das Zuhören, also die andere Seite des Storytellings?

Für uns ist das Zuhören Teil des Prozesses. Wenn wir nicht selbst eine Geschichte erzählen, dann machen das unsere Nutzer, die Tester eines Produktes oder unsere eigenen Teammitglieder, die über ihre Erfahrungen während einer User Journey oder eines Interviews berichten. Ohne Zuhören erreichen wir keinen Fortschritt im Projekt.

Jeder bringt seine individuellen Geschichten in die Lösung ein

Spielen individuelle Geschichten der Teammitglieder eine Rolle, ihre Biographien oder spezielle Erlebnisse?

Neben dem Raum, in dem Design Thinking Projekte stattfinden und dem Prozess, der eine Orientierung im Projekt gibt, sind die Mitglieder des Teams die dritte wichtige Komponente eines erfolgreichen Projekts. Jeder Mensch bringt seine Erfahrungen und individuellen Geschichten in die Entwicklung der Lösungsideen ein. Und nur mit der Kreativität und dem vernetzten, gemeinsamen Denken unterschiedlichster Menschen (wir sprechen hier auch von T-shaped oder Pi-shaped people) gelingen uns wirklich Innovationen.

Wie verbindet sich deine Story mit Design Thinking?

Meine eigene Geschichte verbindet sich mit Design Thinking insofern, als dass ich mir dadurch neue Erfahrungen und Betätigungsfelder erschließen konnte: Als Berater bin ich jetzt hauptsächlich im innovativen und kreativen Kontext tätig. Ich fördere eine lebendige Community Gleichgesinnter in der Organisation, die Design Thinking Community @ DB.

Und generell kann ich sagen, dass Design Thinking auch meine Art zu denken bzw. an Probleme heranzugehen verändert hat. Ich frage heute öfters „warum“ und versuche zu ergründen, was hinter den erzählten Stories steckt.