Gute Storys sind wie Eisberge, sagt Ernest Hemingway. Der größte Teil von ihnen ist unter Wasser. Er wird nicht erzählt. So funktioniert die Kunst des Weglassens im Storytelling in der Praxis.

Hemingway war der Meister des Weglassens. Es lohnt sich, seine Romane oder Short Storys zu lesen, um ein Gefühl dafür zu bekommen.   Die Idee ist ganz ähnlich wie Steve Jobs’s Herangehensweise an die Produktentwicklung bei Apple: Du lässt alles Überflüssige weg!

Bei Produkten sind das Features oder Funktionen, bei Storys Worte oder Inhalte. Hemingway sagt: Jeder liest sowieso eine andere Geschichte, auch wenn alle meinen Roman „Fiesta“ lesen. Das hängt damit zusammen, dass jeder sich und seine Welt in dem Roman findet, bestätigen Psychologen. Ihre eigentliche Macht bekommen Geschichten daher vom Ungesagten.

In seinem Buch Stierkampfbuch „Tod am Nachmittag“ erklärt Hemingway:

„Wenn ein Prosaschriftsteller genug davon versteht, worüber er schreibt, so soll er aussparen, was ihm klar ist. Wenn der Schriftsteller nur aufrichtig genug schreibt, wird der Leser das Ausgelassene genauso stark empfinden, als hätte der Autor es zu Papier gebracht. Ein Eisberg bewegt sich darum so anmutig, da sich nur ein Achtel von ihm über Wasser befindet.“

Gute Storys sind wie Eisberge bedeutet nach Hemingway, Folgendes zu berücksichtigen:

  1. Experte sein
    Nur über das reden, wovon man etwas versteht
  2. Weglassen, was klar ist
    Nicht mit dem Bekannten langweilen, stattdessen das Neue und Besondere erzählen und Neugierde auslösen
  3. Aufrichtig sein
    Nur das Echte und Wahre wirken stark
Ernest Hemingway: Gute Geschichten sind wie Eisberge

Ernest Hemingway: Der Leser wird das Ausgelassene genau so stark empfinden, als hätte der Autor es zu Papier gebracht

Ich bin fest davon überzeugt, dass allein diese drei einfachen Regeln uns tonnenweise schlechte Präsentationen, Reden oder Beiträge in Meetings ersparen würden. Hemingways Ratschläge für Schriftsteller lassen sich 1:1 aufs Business Storytelling übertragen.

Gute Storys sind wie Eisberge – das knappste Beispiel dafür findet sich bei Hemingway selbst. In einer Bar auf Kuba, so erzählt man sich, saßen Hemingway und ein amerikanischer Journalist, der den angehenden Literaturnobelpreisträger bewunderte.

Nach einigen Cocktails sagt Hemingway: „Wollen wir wetten, dass ich eine Story in einem Satz erzählen kann?“

Er nimmt sich einen Bierdeckel und schreibt: „For sale, baby shoes, never worn.“ Er gewinnt die Wette. Warum? Weil er einen Eisberg gezeichnet hat, bei dem allerdings nicht knapp 90 Prozent unter der Wasseroberfläche sind, sondern vielmehr 99 Prozent.

Ein trauriger Vater, eine glückliche Mutter – je nachdem, wer diese Mini-Geschichte in welcher Situation erzählt, entfaltet sich ihre mächtige Wirkung.