Geschichten machen ein Unternehmen krisenfest, geben Stabilität und motivieren Mitarbeiter, sagt Katrin Frische. Mit ihrer Agentur für Storytelling schreibt die Historikerin Geschichten für Unternehmen. Mit dem Event Story-Teller bringt sie Menschen und ihre Geschichten beim Dinner zusammen. Ich traf mich mit Katrin im Münchner Impact Hub, wo 2013 ihre Firma entstand.

Was begeistert dich, was ist deine Mission?

Mich interessiert brennend: Wie sind Menschen dazu gekommen, zu tun, was sie tun? Wie gelingt es, die Vision, die ein Gründer hatte, weiterzugeben, das Feuer auf andere zu übertragen? Ich glaube, für moderne Unternehmen ist es wichtig, Mitarbeitern Geschichten, die davon erzählen, mit auf den Weg zu geben.

Wie schafft man es denn, das Feuer zu übertragen?

Indem man den Gründungsimpuls vermittelt. Den Sinn des Tuns. So sind die besten Voraussetzungen geschaffen, dass Menschen motiviert und eigenverantwortlich handeln, weil sie sich mit der Sache identifizieren können. Wenn sie wissen, warum sie tun, was sie tun, dann ergibt sich alles andere von selbst.

Reichen da nicht Fakten?

Nein. Geschichten transportieren viel mehr als reine Fakten oder Zahlen. Sie erzählen etwa, warum ein Unternehmen ganz unten war und wie es gelungen ist, wieder nach oben zu kommen. Das in packenden Geschichten erzählt, macht ein Unternehmen krisenfest. Vermittelt Zuversicht: Wir schaffen das.

Was für Unternehmen kommen auf dich zu?

Es sind Firmen, die  vorausschauend agieren. Diese Unternehmen sind nicht rein monetär getrieben, sondern sie kümmern sich um eine gute Unternehmenskultur und ein festes Wertefundament als stabile Basis für ihren wirtschaftlichen Erfolg.

Es tut Menschen gut, den roten Faden ihrer Lebensgeschichte zu vergegenwärtigen

In welcher Situation kommen sie zu dir?

Häufig dann, wenn sie ein Jubiläum vor sich haben. Immer häufiger aber wenden sich weitsichtige Unternehmer auch unabhängig von den Jubiläumsfeiern an mich, weil sie wissen, dass in einigen Jahren die Gründergeneration von Bord gehen wird. Damit würden auch die wertvollen Geschichten um Meilensteine, Hürden, Entscheidungen und Erfolge aus dieser Zeit verlorengehen. Doch gerade die wollen sie im Unternehmen halten. Ein Kunde sagte kürzlich zu mir: „Mit jedem Mitarbeiter aus der Gründerzeit, der unser Unternehmen verlässt, gewinnen Ihre Geschichten an einer beachtlichen Wertsteigerung.“ Das Unternehmen kommt übrigens aus dem Finanzdienstsektor 🙂

Geschichten, um besagtes Feuer zu übertragen?

Genau. Diese vorausschauenden Inhaber oder Geschäftsführer sagen sich: Unsere Meilensteine, unsere Gründungsvision, unser ideelles Kapital sollte jeder kennen. Das hält das Unternehmen zusammen. Ein Unternehmer kam zu mir, sagte: Wir haben jetzt die krasse Anfangszeit hinter uns. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass die Geschichten aus dieser Zeit aufbewahrt werden, dass sie nicht verloren gehen. Er sprach von drei Phasen in den nächsten zehn Jahren. Und jetzt machen wir eine Storysammlung.

Erzähl doch bitte mal konkrete Beispiele für Geschichten!

Ein Kunde von mir nutzt ein besonderes Anlagesystem in seiner Vermögensverwaltung. Doch wie ist das entstanden? Mitarbeitern diese Geschichte zu erzählen, ist zentral. Einer hat mir erzählt: Ich bin kürzlich von einem Kunden gefragt worden, warum arbeitet ihr mit so einem speziellen Anlagesystem? Ich konnte die Fragen lange Zeit nicht beantworten. Dann habe ich die Antwort in Ihrer Geschichte gefunden. Nun weiß ich, was ich zu erzählen habe und kann dem Kunden gegenüber sicherer auftreten.

Gucken, was leben hier für Geschichten, die es wirklich wert sind, tradiert zu werden?

Weil der Chef gesagt hat: Lest die Geschichten, wir haben sie für euch aufgeschrieben?

So ist es. Das ist das Konzept. Die wesentlichen Geschichten des Unternehmens mit meiner Hilfe schriftlich zu fixieren. Meine Geschichten schärfen den Blick für alle drei Zeitdimensionen: Wie ist etwas entstanden? Wo stehen wir? Wo wollen wir hin?

Vielleicht noch ein Beispiel, damit man sich das besser vorstellen kann.

Da ist ein Unternehmen, das hat eine extreme Feierkultur. Alle fünf Jahre machen sie eine große Reise. Sie fahren nach London, Rom, Barcelona, um dort gemeinsam zu feiern. Ich habe mir Episoden von den Mitarbeitern angehört und immer versucht zu erspüren, was es mit den Mitarbeitern macht. Und dieses Gefühl habe ich in einer Geschichte erzählt.

In welcher Form bekommen die Mitarbeiter diese Geschichten?

In Form von Büchern oder Broschüren. Ich glaube an das Culture Book, wie es Zappos zum Beispiel macht. Es erscheint jedes Jahr und porträtiert die Mitarbeiter, erzählt Geschichten aus dem Unternehmen. Um die Unternehmenskultur in ihrer Ganzheit zu erfassen, bilden sie hier auch das Leitbild und die Werte von Zappos mit ab. Das Buch ist ein bisschen so etwas wie die Bibel des Unternehmens, die von allen gern zur Hand genommen wird.

In Zukunft wird visuelles Storytelling immer wichtiger werden

Also das gehört alles zusammen?

Ja. Ein Leitbild, eine Wertetafel – das ist wichtig, aber ohne Geschichten blutleer. Erst sie füllen Leitbilder und sogenannte „Mission Statements“ mit Leben. Storys haben eine große Kraft, sie wirken wie ein lebendiger Kompass. So helfen sie etwa bei der Integration neuer Mitarbeiter. Sie sind aber auch ein großartiges Tool, um den Rekrutierungsprozess abzukürzen. Das Unternehmen zeigt sich damit auf eine sehr authentische Art und Weise. Durch die Storys nimmt ein Bewerber das Unternehmen intensiver wahr, als im Gespräch mit HR oder der Geschäftsführung. Ich halte das für eine gute Hilfe, sich gegenseitig abzuchecken, Zeit und Geld zu sparen.

Wie lang ist denn so eine Story?

Das variiert. Von zwei bis 40 Seiten. Das wäre dann aber schon eine mit Leben gefüllte Chronik. Ich richte meinen Fokus immer auf die Fragen, welche Werte und Visionen Unternehmen leiten und wo sie perspektivisch hinwollen. Denn Geschichten können auch erzählen, was sein soll, wo die Reise hingehen soll. Das sind dann sogenannte „Vision Storys“.

Wie gehst du bei der Recherche vor?

Mein Ziel ist ja: Dabei zu helfen, eine Identität zu schaffen. Zu sagen: Das sind wir, das ist unsere Kultur, das sind unsere Werte, das sind unsere Ziele. Also müssen die Geschichten aus der Tiefe des Unternehmens kommen. Ich beginne mit einem Storystorming, eine Art Brainstorming mit Geschäftsführung und ausgewählten Mitarbeitern. Das Ziel: Gucken, was leben hier für Geschichten, die es wirklich wert sind, tradiert zu werden? Ich frage auch gern, was waren die wichtigsten Entscheidungen? Was treibt ein Unternehmen an? Dann wählen wir gemeinsam die Geschichten aus und bestimmen Paten dafür. Die interviewe ich.

Warum tust du das, was du tust?

Gehören zu den Storys auch Bilder?

Gern, wenn der Kunde es wünscht. Manchmal nutzen wir auch Illustrationen wie Cartoons oder Karikaturen, um damit die Kultur noch anschaulicher zu machen.

Videos?

Dazu ist es noch nicht gekommen. Aber in Zukunft wird visuelles Storytelling immer wichtiger werden.

Werden die Geschichten auch erzählt – etwa von den Geschäftsführern?

Sicher. Aber auch von den Mitarbeitern, die sie gehört oder gelesen haben. Es geht um den lebendigen Austausch.

Das bringt uns zum Story-Teller. Auch da geht es um Geschichten – allerdings im privaten und nicht im beruflichen Bereich.

Noch nicht. Im Herbst startet ein erstes Story-Teller-Format im Firmenumfeld. Dazu möchte ich aber jetzt noch nichts verraten. Das Konzept von Story-Teller, wie es bereits in München, Hamburg, Berlin, Köln und Wien läuft: Es gibt ein Dinner, da sitzen 20-30 Menschen an einer langen Tafel und erzählen sich mit ihrem Gegenüber Geschichten. Mit jedem Gang wechseln die Gesprächspartner.

Geschichten story teller

© Axel Öland

Irgendwelche Geschichten?

Wir moderieren das ein wenig und stellen für jeden Gang eine Frage: eine führt in die Kindheit, eine in die Gegenwart, eine in die Zukunft. Typische Fragen wären: Erinnerst du dich an einen Geschmack oder eine Farbe deiner Kindheit? Oder: Warum tust du das, was du tust?

Geschichten transportieren viel mehr als reine Fakten oder Zahlen

Wie wird das angenommen?

Begeistert. Mittlerweile gibt es den Story-Teller in den fünf Städten fast im Monatsrhythmus Dabei sind wir erst vor einem Jahr gestartet.

Wie bist du darauf gekommen?

Ich habe Menschen interviewt und gemerkt, wie gut es denen tut, den roten Faden ihrer Lebensgeschichte zu vergegenwärtigen. Auch wie sehr ich selbst davon profitiert habe, ihre Geschichten zu hören. Dann habe ich Erzählsalons gestartet und daraus hat sich der Story-Teller entwickelt.

Klasse Format. Jetzt bin ich wirklich neugierig, wie du das mit den Unternehmensgeschichten verbindest.

Es ist gar nicht so anders. Beim Story-Teller melden sich die Leute an, weil sie neugierig sind, weil sie aus der Anonymität rauskommen wollen, weil sie tiefsinnige Gespräche führen wollen, weil sie sich letztlich über den roten Faden ihren eigenen Lebens Klarheit verschaffen wollen. Das lässt sich doch hervorragend für Teambuilding nutzen, oder?

In einer offenen Unternehmenskultur ganz bestimmt.

Denke ich auch. Vielleicht interviewst du mich noch einmal, nachdem erste Unternehmens-Story-Teller gelaufen sind.

Ganz bestimmt.