Klatsch und Tratsch – furchtbar. Wie oft habe ich diesen Satz von Führungskräften gehört! Ich selbst zählte auch nicht zu den Fans des Kaffeeküchentratsches, bis ich verstand wozu dieses inoffizielle Storytelling gut ist. Das erklärte mir ein Evolutionspsychologe, der in Oxford lehrt.

Der Brite Robin Dunbar hat unter dem Titel Klatsch und Tratsch. Wie der Mensch zur Sprache fand ein Buch veröffentlicht. Es wird im Kontext von Storytelling so oft zitiert, dass ich mir ein paar Tage Zeit nahm, es zu lesen. Jetzt sehe ich Klatsch und Tratsch als Erfolgsfaktoren.

Klatsch und Tratsch sind eine effiziente Form
des Kraulens der Affen.

„Wenn Sprechen das Menschsein ausmacht, ist es das Geschwätz des Lebens, das die Welt in Gang hält, nicht die Perlen der Weisheit … Wir sind Gesellschaftswesen, und unsere Welt ist wie die der kleinen und großen Affen in die Interessen und kleinen Einzelheiten des alltäglichen Soziallebens eingesponnen. Sie faszinieren uns über alle Maßen.“

Klatsch und Tratsch, so Dunbars These, sei für Menschen nötig, um eine Gemeinschaft zusammenzuhalten. Aus diesem Grund sei die Sprache entstanden – um zu Klatschen und zu Tratschen. Sachliche Themen? Nein, sagt Dunbar, auch wichtig, aber weder der Ursprung noch die bis heute zentrale Funktion. Sprache sei in evolutionärer Perspektive zutiefst sozial.

Ein Blick auf die Evolution. Zwei Dinge hätten uns das Überleben in der Savanne gesichert: unsere Körpergröße sowie das Zusammenleben in Gruppen. Während Affen in Gruppen mit ca. 50 Mitgliedern lebten, fand sich die Gattung Homo sapiens in Gruppen mit ca. 150 Mitgliedern zusammen. In diesen Gruppen kennt, laut Dunbar, jeder jeden. Jeder weiß, in welcher Beziehung jeder einzelne zu den Gruppenmitgliedern steht.

Sprache ist entstanden,
damit wir tratschen können.

Kurzer Exkurs: Firmen mit 150 bis 200 Mitarbeitern lassen sich, laut Dunbar, nahezu hierarchielos organisieren. „Das Getriebe des zwischenmenschlichen Umgangs wird durch persönliche Kontakte geölt.“ Es ist die Zahl der Menschen, mit denen man problemlos ein Glas Bier in einer Kneipe trinken kann, wenn man sie zufällig trifft. Wird eine Firma größer, tritt Hierarchie an die Stelle sozialer Kontakte und Verpflichtungen.

Zurück zur Evolution. Wie stellen Affen Nähe her? Durch Kraulen. Affen, so Dunbar, nutzen gegenseitiges Kraulen nicht nur zur Hygiene, sondern vor allem als Ausdruck von Freundschaft und Treue. Sie bilden Kraulcliquen. Kraulen ist ihr sozialer Kitt, der sie auch innerhalb der Gruppe schützt. Affen verbringen damit bis zu 20 Prozent ihrer Zeit.

Zufällige Begegnungen an der Kaffeemaschine
sind der Unterschied zwischen erfolgreichen
und weniger erfolgreichen Organisationen.

Dunbar sagt, mit zunehmender Gruppengröße steigen die soziale Komplexität und die Anzahl der Kraulpartner. Kraulen wird ineffizient. Es wurde ersetzt durch die Sprache. Aus der 1:1-Beziehung wurde so eine 1:3-Beziehung. Wir können nur einen Menschen zur Zeit kraulen, aber mit drei Menschen bequem sprechen. Sprache ist eine effektive Form des Kraulens.

Um seine Hypothese zu testen, analysierte Dunbar diverse Gespräche. Das Ergebnis: „Die Gespräche drehen sich zu etwa zwei Dritteln um zwischenmenschliche Belange. Dazu gehören Diskussionen über private Beziehungen, persönliche Vorlieben und Abneigungen, persönliche Erlebnisse, das Verhalten anderer und ähnliches. Kein anderes Thema nahm mehr als zehn Prozent der Gesprächszeit in Anspruch … Selbst Sport und Freizeitgestaltung brachten es zusammen auf gerade einmal zehn Prozent.“

Was bedeuten Dunbars Erkenntnisse für Führungskräfte? Das sollte jeder selbst entscheiden. Ich habe Folgendes gelernt:

Drei Tipps zum Umgang mit Klatsch und Tratsch

  1. Klatsch und Tratsch stabilisiert seit mindestens 100.000 Jahren soziale Gruppen. Er steckt in unseren Genen. Insofern ist er natürlich auch in Unternehmen ein Erfolgsfaktor. Daher ist es wichtig, eine Arbeitsumgebung zu schaffen, die informelle Zusammenkünfte der Mitarbeiter begünstigt. Dunbar: „Diese zufälligen Begegnungen an der Kaffeemaschine, die zwanglose Plauderei am Fotokopiergerät, machen den Unterschied zwischen einer erfolgreichen und einer weniger erfolgreichen Organisation aus.“
  2. Negativer Klatsch ist viel weniger zu fürchten, als ich getippt hätte. Laut Dunbars Recherchen nimmt er nur wenige Prozent eines Gesprächs ein. Dennoch bin ich davon überzeugt: Je besser mein Storytelling, je klarer die Strategie, die Mission, die Ziele, der Sinn der Tätigkeit jedes einzelnen Mitarbeiters, desto weniger negativer Klatsch ist in Richtung Unternehmen zu erwarten.
  3. Es ist vielleicht keine schlechte Idee, sich selbst häufiger an Klatsch-Gesprächen zu beteiligen anstatt ihnen auszuweichen. Im Up-Team und im Down-Team. Besser noch: Ich würde aktiv Gespräche über Zwischenmenschliches anregen. Damit meine ich natürlich keinen Klatsch negativer Art, sondern konstruktive Gespräche. Allerdings mit Fingerspitzengefühl! Von einer Sache bin ich überzeugt: Klatsch und Tratsch funktionieren nur, weil sie inoffiziell sind. Jeder Versuch der Manipulation von oben ist tabu.