Die Macht des X. Der Buchstabe erzählt viele starke Geschichten, die sich im Kern alle um Identität, Suche und Aufbruch drehen. Das X ist ein magischer Buchstabe im Storytelling und wir finden unzählige Anwendungen von Akte X über X-Chromosomen, bis hin zu X-Kleidergrößen.

Doch worum geht es im Kern? Vier Beispiele aus der Philosophie, der Bürgerrechtsbewegung, der Raumfahrt, der Soziologie. Wie können wir das X für unser Storytelling nutzen?

René Descartes: X erzählt vom Unbekannten

Der französisches Philosoph René Descartes war besessen von der Frage, was wir wissen können. In der Entwicklung seiner analytischen Geometrie ordnete er bekannten Werten die Buchstaben a, b, c zu. Unbekannten Werte dagegen x, y, z. Descartes legte damit eine Grundlage modernen Verständnisses des X. Wir bewegen uns in der Welt des Unbekannten. Darin liegt die eine Quelle für die Macht des X.

Elon Musk: X erzählt von Aufbruch und Rebellion

Diese Interpretation greift auch Elon Musk auf, wenn er sein Raumfahrtunternehmen SpaceX nennt. Aufbruch ins Unbekannte. Musk liebt diesen Buchstaben. So hieß der Vorläufer seiner Firma PayPal bereits X.com. Zugleich ist bei Musk eine andere starke Note zu spüren: Rebellion. Diese wiederum hat andere Wurzeln.

Malcolm X: X erzählt von Sklaverei, Identität, Anerkennung

Der US-Bürgerrechtler Malcolm Little taufte sich um in Malcolm X. Wofür steht dieses X? Worin liegt die Macht des X. Malcolm erklärt es in einem Fernsehinterview, in dem er von vier Weißen interviewt wird. Anmoderiert wird er als „der Mann, der sich Malcolm X nennt“. Das ist der Dialog:

Interviewer: “What is your real name?”

Malcolm: “Malcolm. Malcolm X.”

Interviewer: “Is that your legal name?”

Malcolm: “As far as I’m concerned it’s my legal name.”

Interviewer: “Have you been to court to establish th—”

Malcolm: “I didn’t have to go to court to be called Murphy or Jones or Smith.”

Wir weisen diesen Namen heute zurück. Wir erkennen ihn nicht an

Interviewer: “I get the point. Would you mind telling me what your father’s last name was?”

Malcolm: “My father didn’t know his last name. My father got his last name from his grandfather, and his grandfather got it from his grandfather who got it from the slave master. The real names of our people were destroyed during slavery.”

Interviewer:Was there any line, any point in the genealogy of your family when you did have to use the last name, and if so, what was it?”

Malcolm: “The last name of my forefathers was taken from them when they were brought to America and made slaves, and then the name of the slave master was given, which we refuse, we reject, that name today—”

Interviewer: “You mean you won’t even tell me what your father’s supposed last name was? Or gifted last name was?”

Malcolm: “I never acknowledge it whatsoever.”

Acknowledgement – Anerkennung. Darum geht es in diesem Dialog um den „wahren Namen“. Das X ist der Buchstabe oder das Zeichen, das Malcolms versklavte Vorfahren nutzten, um Dokumente zu unterzeichnen, indem sie ihren Namen zugleich auslöschten. Das X repräsentiert, wie Malcolm X erklärt, zugleich Identität und Nicht-Identität. Es ist so gesehen ein paradoxes Zeichen für Identität und wird in seinem Fall, indem es Teil des Namens wird, zur radikalen Provokation.

Generation X: X steht für verlorene Generation

Nach den Baby Boomern (geboren zwischen 1950 und 1965) folgten die Generationen X (1965 bis 1980), Generation Y (1980 bis 1995) und die Generation Z (1995 bis 2010). Ohne etwas über die konkreten Inhalte dieser Zuschreibungen zu wissen, wird deutlich, dass hier etwas zu Ende geht. Ab 2010 geht es weiter mit der Generation Alpha, wir beginnen wieder am Anfang – nur in einem anderen Alphabet.

Insofern steht das X, ob gewollt oder ungewollt, für den Anfang vom Ende. Die Macht des X – verloren. In seinem Roman Generation X nennt Douglas Coupland diese Generation die „verlorene Generation der 90er“ – hohes Bildungsniveau, ausgeprägtes Konsumverhalten. Ein anderes Buch über diese Generation ist Faserland des Schweizer Autors Christian Kracht. Auch hier wird kein besonders positives Bild gezeichnet. Die Rebellion und der Aufbruch verlieren sich im Markenfetischismus.

Ein paar Worte zur Symbolik des X

Zur Symbolik des X fand ich folgende Erklärung: Sie rührt von der Bezeichnung Christi in der griechischen Schreibweise. Der erste Buchstabe ist ein chi, geschrieben X. X steht für Kuss. Im Mittelalter unterzeichnete man daher offizielle Briefe mit X. Später wird es die Unterschrift der Sklaven. Dann eine Warnung, ein Stoppzeichen, ein Marketinginstrument, eine Form der Einebnung der Geschlechter im Spanischen (x statt der Endungen o und a, männlich und weiblich) und so weiter. Das X ist auch als Symbol ein Tor ins in eine offene, neue Welt voller überraschender Wendungen.

Wer sich darüber hinaus mit dem X beschäftigen will, der mag vielleicht das Buch The Joy of X von Steven Strogatz lesen. Spannend auch der Beitrag von Emily Mc Crary-Ruiz-Esparza.