Wie entsteht eigentlich Vertrauen? Vorsicht, wenn Storytelling ins Spiel kommt! Zwei Storys über das Vertrauen und eine Theorie, die jeder kennen sollte. Sie stammt von der britischen Vertrauensforscherin Rachel Botsman.

Zwei Storys über Vertrauen: der Roman

Die erste Story führt nach Paris in die fiktionale Welt der Autorin Leila Slimani. „Dann schlaf auch du“, heißt ihr verstörender Roman. Was für ein Glück sie gehabt haben, das junge Ehepaar Myriam und Paul. Endlich können sie sich wieder voll auf ihre Arbeit und ihre Karrieren konzentrieren, denn nun ist ja Louise da und kümmert sich um die beiden Kleinen. Sie spielt mit ihnen in der schönen Pariser Altbauwohnung im 10. Arrondissement, sie macht Spaziergänge, erzählt den Kindern Geschichten.

Schon bald ist Louise unentbehrlich. Aber was wissen Myriam und Paul eigentlich von ihr? Worauf basiert ihr Vertrauen? „Sie hat den Blick einer Frau, die alles verstehen und verzeihen kann“, denken sie beim Kennenlerngespräch. Sie erzählen sich selbst eine Geschichte, an deren Wahrheit sie im Namen ihrer Karrierewünsche nur zu gern glauben.

Irgendwann spüren Myriam und Paul, das etwas nicht stimmt, doch von den Abgründen in Louise ahnen sie nichts. Es wird schon vorübergehen, sagen sie sich. Außerdem wirkt immer noch die ursprüngliche Geschichte, die sie sich von Louise erzählt haben – der Engel, der ihnen ermöglich, trotz der Kinder ihre Karrieren zu verfolgen. „Das Baby ist tot“, beginnt der Roman der französisch-marokkanischen Autorin.

Vertrauen ist das Bindemittel der Gesellschaft, die Grundlage von Beziehungen, Handlungen, Entscheidungen, Transaktionen, Träumen. Wie lässt es sich definieren? Die Autorin und Expertin für Vertrauens- und Technologieforschung Rachel Botsman schreibt in ihrem Buch „Wem kannst du trauen?“: „Vertrauen ist eine Beurteilung von Ausgängen, eine Beurteilung der Frage, wie wahrscheinlich es ist, das sich die Dinge richtig entwickeln werden.“

Das Risiko wäre eine fremde Person, auf die ich mich verlassen muss, die Qualität der Küche eines unbekannten Restaurants, die Fähigkeiten eines selbstfahrenden Autos oder das Wesen eines Kindermädchens.

Zwei Storys über Vertrauen: die Realität

Auch Botsman hat eine Kindermädchengeschichte zu erzählen, ihre ganz persönliche. Doris kam aus Schottland, war mollig und rotgesichtig. Botsmans Mutter hatte Doris über die noble Zeitschrift „The Lady“ gefunden, das Magazin, in dem auch die High Society ihr Hauspersonal sucht. Die Vertrauenslogik der Mutter: Wenn die Königsfamilie dieses Magazin nutzt, um Personal zu finden, dann muss es einfach zuverlässig sein.

Nach einigen Monaten passierten seltsame Dinge, doch die Eltern beschlossen, Doris‘ fadenscheinigen Erklärungen zu glauben. Schließlich fand man heraus, dass sie eine Art Drogenring betrieb.

Sie wünschte, sie hätte mehr über Doris gewusst, sagt die Mutter hinterher. Doris kam ihr doch so vertrauenswürdig vor. Das sagen wir oft, wenn wir der falschen Person vertraut haben und aus den wenigen Fakten, die wir hatten, eine überzeugende Story konstruiert haben.

Vertrauen baut Brücken vom Bekannten zum Unbekannten

Wir sollten uns nicht fragen, ob wir der Person vertrauen, sondern ob wir darauf vertrauen, dass die Person etwas Bestimmtes tut bzw. nicht tut, sagt Botsmann. So bleiben wir näher an der Realität.

Der Raum zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten beschreibt das Risiko. Vertrauen ermöglicht den Sprung, der uns über den Abgrund der Angst trägt, indem es auf etwas Drittes referenziert. Wenn A nicht weiß, ob sie C vertrauen soll, dann benötigt sie eine Brücke, nennen wir sie B.

Seien es Referenzen. Sei es die Sicherheit, die eine Institution gibt. Damit wären wir im Bereich des Faktischen. Die warmen Augen von Louise sind keine Referenz. Das Magazin „The Lady“ ist keine vertrauenswürdige Institution. Sie verleiten uns nur dazu, eine Story zu erzählen, anstatt genau nachzuforschen, die richtigen Fragen zu stellen und eine stabile Brücke zu bauen, die uns von A zu C trägt.

Die Story, die wir auf Basis so einer Recherche erzählen würden, basierte auf Fakten und nicht auf Wünschen. Genau darum geht es im Storytelling außerhalb von Romanen: Fakten so mit Emotionen zu verknüpfen, dass die Geschichte am Ende der Realität standhält.