Analytisches Storytelling: Der amerikanische Autor Edgar Allan Poe (1809 – 1849) beschreibt in einem Aufsatz The philosophy of composition Schritt für Schritt den Prozess.

Was Poe über sein Gedicht The Raven sagt, lässt sich auch auf Präsentationen oder Vorträge aller Art anwenden. Es ist ein Ansatz, der Führungskräften und Managern sehr willkommen sein dürfte, weil Poe analytisch und schrittweise vorgeht.

Wie geht das eigentlich, fragt Poe, das Schreiben eines Gedichts? Wie plant man es vorab? Und wie bringt man es zu Ende? Denn Planung, betont er, sei die Basis: Ohne Planung kein Gedicht.

Im Kern geht es bei Poe darum, dass Originalität sich lernen lässt. Dass sie weniger eine Frage der Inspiration als vielmehr eine Frage des Vorgehens sei. Da geht es nicht um Genie, sondern um Analyse, Berechnung und Kombination.

Welches Gefühl wird beim Leser erzeugt? Eine Frage der Planung

„It is my design to render it manifest that no one point in its composition is referable either to accident or intuition – that the work proceeded step by step, to its completion, with the precision and rigid consequence of a mathematical problem.“

Poes Aufsatz über sein berühmtestes Gedicht The Raven ist eine großartige Lektion in analytischem Storytelling, weil sie von der Wirkung auf den Leser ausgeht. Poe erklärt Schritt für Schritt, wie er diese ganz besondere Wirkung erzeugt.

Eine großartige Schule für die Kunst, mit Storys erfolgreich zu führen. Nebenbei ist sein Gedicht einfach ein Meisterwerk.

Analytisches Storytelling: Poes 5 Fragen:

1. Wie ist das Ende der Story?

Gehen Sie beim Schreiben immer von dem Effekt aus, den Sie beim Leser erreichen wollen. Gute Autoren, erklärt Poe, haben bei jedem Wort, jedem Satz, jeder Zeile, die sie schreiben, das Ende im Auge. Vom Ende aus baut sich das Werk auf.

Mit Ende meint Poe viel mehr als den Handlungsverlauf. Es geht um die Wirkung, die das Kunstwerk beim Leser erzielen soll. Den emotionalen Zustand.

Meine Empfehlung: Schreiben Sie zuerst Anfang und Ende, bevor Sie sich an den eigentlichen Vortrag machen. Wenn das Ende nicht zu Beginn feststeht, schalten Sie auf Blindflug. Das ist gefährlich!

2. Wie lang soll die Story sein?

Poe unterscheidet im Wesentlichen zwei Umfänge. Er fragt sich: Kann ein Leser das Werk ohne Unterbrechung konsumieren oder kann er es nicht? Er geht davon aus, dass die beste Wirkung erzielt wird, wenn der Leser seine Lektüre nicht unterbrechen muss. Doch darf es auch nicht zu kurz sein, sonst kann es seine Wirkung gar nicht erst entfalten.

Was ist die ideale Länge für Ihren Vortrag? Bestimmen Sie erst die Mindestlänge, in der alle Botschaften und Emotionen kommuniziert werden können und dann die maximale Länge, nach der sich der Zuhörer nach einer Pause sehnt. Im Zweifelsfall lieber kürzer.

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3. Wie ist der beabsichtigte Eindruck der Story?

The Raven, schreibt Poe, soll die Seele erheben und dabei für jedermann gut verständlich sein. Poe denkt radikal vom Leser aus, nicht von sich, nicht von Kritikern, nicht von Kollegen.

Welchen Eindruck soll Ihr Vortrag hinterlassen? Welches Gefühl wird bei den Zuhörern erzeugt? Sie mögen einwenden, es gehe doch nur um Fakten. Leider falsch. Es geht um Fakten und um Emotionen. Das ist der Kern von Storytelling. Planen Sie die Emotionen genauso akribisch wie die Fakten.

4. Was ist der zentrale Reiz der Story?

Poe empfiehlt, einen Haken, eine Besonderheit, ein wiederkehrendes Moment, etwas, das dem Gedicht Zusammenhang gibt. Woran sich der Leser erinnert. Dabei kommt er auf das Prinzip der Wiederholung, den Refrain. In seinem Gedicht ist es das Wort ‚Nevermore’.

Diese Idee bringt Vorträge auf eine andere Ebene. Probieren Sie es aus!

Vielleicht stellen Sie sich den zentralen Reiz wie einen Schlagerrefrain vor. Vielleicht denken Sie an Shakespeares ‚Aber Brutus ist ein ehrenwerter Mann’. Oder an Angela Merkels ‚Wir schaffen das’.

5. Wie entwickelt sich die Spannung der Story?

Poe entwickelt ein Frage-und-Antwort-Spiel zwischen dem melancholischen Liebenden und dem Raben, das sich bis zum Höhepunkt steigert. Das ist eine Möglichkeit.

Die Entwicklung der Spannungskurve ist eins der großen Themen im Storytelling. Sie ist fundamental, um Zuhörer zu fangen und nicht wieder zu verlieren. Es gibt verschiedenste Techniken, die sich genau diesem Thema widmen.

Entscheidend ist, sich in den Zuhörer zu versetzen und immer wieder dessen Neugier zu stimulieren. Wie ein guter Krimi.