Die Story von der Fahrt nach Abilene ist eine Art Code Red als Geschichte verpackt. Sie verdeutlicht auf simple Art eine kritische Situation. Das ist die Story, die ich bei dem Managementprofessor Jerry B. Harvey fand:

Eine Familie sitzt an einem heißen Sommertag in Texas auf der Veranda und jemand sagt: Warum fahren wir nicht alle zum Dinner nach Abilene? 53 Meilen in einem Auto ohne Klimaanlage. Klingt wie eine gute Idee, sagt noch jemand. Für mich auch, meint ein anderer. Man war ja auch schon lange nicht mehr in Abilene.

Ab ins Auto. Staub, Hitze, fragwürdiges Essen. Vier Stunden später, man sitzt wieder auf der Terrasse, einer fragt: Großartiger Trip, oder? Schweigen.

Ich bin nur mitgefahren, weil ihr es wolltet

Jemand entgegnet: Um ehrlich zu sein, so schön fand ich es nicht, ich wäre lieber hier geblieben. Ich bin nur mitgefahren, weil ihr drei so enthusiastisch wart. Ein anderer erklärt, dass er glücklich war auf der Terrasse und nur die anderen zufriedenstellen wollte. Daher sein Ja. Noch eine Stimme: Ich wäre ja wohl verrückt gewesen, bei der Hitze diese Tour zu machen, doch euch zuliebe … Schließlich meldet sich auch derjenige, der den Trip vorgeschlagen hat, zu Wort. Er hatte eigentlich auch nicht fahren wollen. Er war nur besorgt gewesen, dass alle irgendwie gelangweilt sein könnten.

Soweit die Story von der Fahrt nach Abilene. Sie beschreibt ein Paradox, das sich auch im Business häufig findet: „Organizations frequently take actions in contradiction to what they really want to do and therefore defeat the very purposes they are trying to achieve“, schreibt Professor Harvey. Hat wohl jeder zumindest in größeren Unternehmen schon einmal erlebt, so ausgeklügelt die Entscheidungsprozesse auch gewesen sein mögen.

Storytelling kann hier helfen, wie die kleine Geschichte zeigt. Wenn nur einer Person in der Gruppe der Verdacht kommt, dass man im gegenseitigen Einvernehmen im Begriff ist, das zu tun, was eigentlich keiner will, ist es klug, eine einfache Frage zu stellen: Fahren wir vielleicht gerade nach Abilene? So ist man kein Spaßverderber, sondern gibt nur dezent einen Hinweis. So lässt sich die Sache mit Humor nehmen und damit viel leichter die unglückliche Entwicklung eingestehen.