Pia Kleine Wieskamp arbeitet seit über 30 Jahren in der Kommunikationsbranche, ist süchtig nach ihrem iPhone und Social-Media-Tools, fotografiert gerne, betreibt POINT-PR und hat jetzt ein spannendes Buch über Storytelling geschrieben. Darüber sprachen wir bei unserem Treffen in einem Münchner Café.

Was fasziniert dich an Storytelling?

Ganz einfach. Kommunikation bedeutet, ein Thema bewusst und gezielt an den Mann oder an die Frau zu bringen. Und das gelingt am besten mit den Mitteln des Storytellings.

Was genau ist eigentlich Storytelling in deiner Definition?

Nachvollziehbare und verständliche Geschichten erzählen, die Emotionen und Interesse wecken, damit sie im Gedächtnis hängen bleiben.

Was ist nicht Storytelling?

Eine Aneinanderreihung von Fakten. Nur weil sie aneinander gereiht sind, ergeben sie noch lange keine Geschichte. Für mich ist es auch nicht Storytelling, wenn ich einfach nur Story darüberschreibe. Beispiel Messen. Wenn du die Leute nach dem Besuch fragst, was hast du denn da eben auf dem Stand gesehen oder erlebt, sollten fünf von fünf das Gleiche erzählen. Können sie es nicht, war das kein erfolgreiches Storytelling. Dann wurde die Geschichte am Stand nicht so erzählt, dass sie ihr Ziel erreicht.

Wäre das eine Möglichkeit, den Erfolg von Storytelling zu messen: Prüfen, ob die Geschichte nacherzählt werden kann?

Sicher.

Eine Story kommt dem näher, was wir selbst erleben

Warum funktioniert Storytelling universell?

Weil Menschen so lernen. Bevor wir lesen oder schreiben können, lernen wir Dinge, die wir noch nicht am eigenen Leib erfahren haben. Zum Beispiel: Wenn die Herdplatte heiß ist, wirst du dich verbrennen. Diese Erfahrung muss nicht jedes Kind machen. Sie wird vermittelt über die Geschichte von Onkel Oscar, der sich verbrannt hat. Das ist eine Art unserer Kultur, weltweit. So geben wir Erfahrungen weiter.

Nenne mir eine Religion, die nicht mit Storys arbeitet! Es scheint im Menschen zu liegen. Und wenn man den Neuropsychologen Glauben schenken darf, werden mit Storys Gefühle im Unterbewusstsein angesprochen. Das ist ganz etwas anderes, als wenn man sich rein sachliches Wissen reinzieht. Eine Story kommt dem näher, was wir selbst erleben.

Stößt du auch auf Ablehnung im Business-Kontext? Motto: Lasst uns doch lieber bei den Fakten bleiben. Die Zahlen sprechen doch für sich. Wir wissen doch, wo wir stehen, wir müssen doch nur aufs Dashboard schauen.

Ja, das passiert. Was antworte ich ihnen? Nehmen wir Image-Bildung. Es ist etwas, was man sehr schwer mit Zahlen greifen kann oder mit Fakten. Image ist ein Gefühl – unabhängig davon, dass zwei vergleichbare Produkte Vergleichbares leisten. „Ich finde die Marke Apple oder BMW so toll, obwohl sie das Doppelte kostet.“ Das leistet Storytelling.

Geht das nicht schon Richtung Verführung oder Manipulation?

Storytelling spricht etwas in uns an, was wir schon als Kinder lieben: Wenn zum Beispiel im Märchen Wünsche erfüllt werden. Oder wenn Figuren vorgaukeln etwas zu sein, was sie nicht sind. Storytelling erfüllt Erwartungen, die sich in der Realität gar nicht erfüllen lassen. Red Bull verspricht: Du kannst fliegen. Das Gefühl, verbunden mit Freiheit, Sport, Action. Damit sind die sehr erfolgreich.

Man sollte als Storyteller etwas Persönliches von sich preisgeben

Sehen wir auf das Zwischenmenschliche. Da gibt es dieses hervorragende Video Die neue Nähe, wo Kinder auf Behinderte treffen, zum Beispiel jemanden, der künstliche Beine hat. Es geht darum zu zeigen, dass man keine Angst haben muss vor Unbekanntem. Vor Behinderungen.

Du siehst: Storytelling ist nicht nur Verführung oder Werbung. Es ermöglicht, auch andere Tore zu öffnen.

Du überschreitest Grenzen?

Du öffnest Grenzen. Man sollte immer andocken an eine Erfahrung, die ein Mensch gemacht hat, damit es ihn auch berührt.

Cover Storytelling

Es gibt schon einige Bücher über Storytelling, warum noch eins?

Ich habe sehr viele Trainings und Workshops im Bereich Storytelling gehalten. Dort kam häufig die Bitte: Nimm doch Beispiele, die nicht aus Amerika sind. Beispiele aus Deutschland, die erfolgreich waren. US-Beispiele erscheinen uns Deutschen oft überemotional. Sodass man mir sagte: Das kann ja vielleicht in Amerika wirken, aber hier wirkt das nicht.

So habe ich deutsche Beispiele gesucht. Und kam auf die Idee, Best Practise Cases zu sammeln. So bin ich auch auf die Idee gekommen, Richtung Visual Storytelling zu gehen, meinem Lieblingsthema. So entschied ich mich, im Buch viele Tools vorzustellen, die sich im multimedialen Storytelling einsetzen lassen.

Du hast ein deutsches Buch geschrieben, das wirklich edgy ist, also auf der Höhe der Zeit. Und du hast zugleich die Grundlagen eingearbeitet. Das ist das Konzept, oder?

Ja. Oder wie hast du es als Leser empfunden?

Genau so. Das hat mir gut gefallen. Dein Buch ist für Menschen in PR, Marketing, TV, Game und Social Media. Eine breite Zielgruppe. Was sind die Unterschiede, was die Gemeinsamkeiten beim Thema Storytelling in diesen Bereichen?

Die Grundlagen sind gleich. Sie haben nur eine andere Ausrichtung. Andere Tools. Aber alle können voneinander lernen. Die Idee ist, mit meinem Buch für jede Teilzielgruppe die Horizonte zu öffnen.

Entscheidend ist die Frage nach den Zielen und der Zielgruppe

Warum eigentlich ein Buch und kein rein digitaler Channel? Welche Bedeutung hat das Medium Buch für die Vermittlung von solchen Inhalten?

Ich spreche damit Menschen an, die das Medium Buch bevorzugen. Gerade wenn sie Storytelling noch nicht beherrschen, muss ich sie dort abholen, wo sie sind. Und Menschen, die sich im beruflichen Umfeld weiterbilden wollen, bevorzugen noch das Buch.

Dennoch gibt es ein Gratis-E-Book und eine Webseite?

Ja, ich hole die Menschen einfach beim Lesen ab! Wo sie gerade sind. Jeder nutzt das Medium, das ihm gefällt.

Dein Buch hat allein vier Seiten Inhaltsverzeichnis – es gibt ein recht umfassendes Bild.

Weil ich mich als Buchleser immer ärgere, wenn ich nicht auf den ersten Seiten sehen kann, was in dem Buch drinsteht.

Gib doch bitte drei Tipps für Storytelling, die jeder anwenden kann!

Bevor ich über die Geschichte selbst nachdenke, den Helden, das Medium, sollte ich mich fragen: Was sind meine Ziele? Wen will ich erreichen? Das wird oft vergessen. Man sagt: Wir machen jetzt einfach eine coole Geschichte? Aber so geht es nicht. Das Dritte ist für mich, auch mal über den Tellerrand zu denken. Nicht nur danach gehen: Was gibt es, was verkauft sich gut? Sondern der Kreativität freien Raum lassen.

Was sollte man auf keinen Fall tun, wenn man ein guter Storyteller sein will?

Als Story-Architekt: Das No-Go ist für mich, eine Geschichte zu kreieren, die kein Ende hat. Das Ziel kann nicht sein, dass die Menschen sich nur noch damit beschäftigen, wie geht die Story zu Ende. Das geht meistens schief.

Als Erzähler: Nicht offen sein. Man sollte etwas Persönliches von sich preisgeben. Das erkennt das Publikum schnell, bei einem Menschen oder bei einer Firma.

Das Holodeck ist der heißeste Trend im Storytelling

Sehr spannend fand ich das Kapitel über Visual Storytelling – welche Bedeutung haben Fotos und Videos in unserer Zeit für das Erzählen von Geschichten?

Sie sind enorm wichtig. Es gibt Untersuchungen, dass knackige kurze emotionsreiche Videos oder Bilder funktionieren. Das erlebe ich auch in meinem eigenen Umfeld. Menschen kommunizieren immer schneller. Symbole wie Daumen oder Smileys ersetzen Worte. Das funktioniert auch global – ein weiterer Vorteil. Internationale Firmen haben natürlich übergreifende Key Visuals.

Wie orchestriere ich alle digitalen Plattformen, die ja in deinem Buch erwählt werden. Youtube, Facebook, Twitter …

Entscheidend ist die Frage nach den Zielen und der Zielgruppe. Dann frage ich: Wo hält sich meine Zielgruppe auf? Danach suche ich die Kanäle aus. Dann kann ich mich auch beschränken.

Was ist transmediales Storytelling?

Es ist das Erzählen einer Story übergreifend über Kanäle. Man schafft ein offenes Gerüst und lädt das Publikum ein, die Geschichte mitzugestalten. Man schreibt etwa gemeinsam ein Buch. Ein Autorenteam mit den Lesern. Und das passiert auf verschiedenen Kanälen mit ganz unterschiedlichen Erzähltechniken. Die Weiterentwicklung von Pottermore, der Online-Plattform für Harry Potter. Plötzlich erfinden die Leser eine Schwester von Harry Potter und eine neue Zauber-Unterwelt, und JK Rowling kann die ins nächste Buch aufnehmen, wenn sie will.

Wie gehen Unternehmen mit dieser neuen Freiheit um?

Vielen Firmen ist das noch zu hoch. Wie viele Firmen-Accounts siehst du noch auf Facebook, wo Nutzer keine eigenen Beiträge schreiben dürfen. Wo sie allenfalls kommentieren dürfen. Wir Deutschen haben gern alles unter Kontrolle.

Was ist der heißeste Trend im Storytelling?

Das Holodeck. Das kommt auf uns zu. Pokemon Go geht auch schon in diese Richtung. Aber es ist erst der Anfang. Microsoft hat mit der Hololens so eine Umgebung geschaffen, die sich für Storytelling in der virtuellen Realität nutzen lässt.