Treffpunkt Café Alex am Münchner Rotkreuzplatz: Ein Gespräch über Content Marketing, KPIs und Storytelling. Mein Gesprächspartner, Karsten Lohmeyer, ist ein alter Bekannter von mir. Der Journalist ist Editorial Director bei The Digitale, der Content Marketing Agentur der Deutschen Telekom. Bekannt wurde er durch seinen Blog LousyPennies.de, in dem er sich gemeinsam mit Stephan Goldmann Gedanken macht zum Thema Geldverdienen mit Journalismus im Netz

The Digitale bietet Kompetenz in digitaler Markenführung und macht aus jeder Marke eine Erfolgsstory. Das ist euer Claim. Wie wird eine Marke zur Story?

Jede Marke hat viele Geschichten zu erzählen. Nicht nur über die Marke selbst, sondern über das Feld, in dem sich diese Marke bewegt. Das Problem: Storytelling wirkt auf Facebook, aber auf Google zum Beispiel nicht. Ein großes Thema von uns ist nicht nur das Erzählen, sondern das Verbreiten von Geschichten. Da muss ich mir genau überlegen, auf welcher Ebene ich welche Geschichte erzählen will.

Wann ist eine Story eine Erfolgsstory?

Sie funktioniert in verschiedenen Kanälen und löst bei der Zielgruppe positive Reaktionen aus. Eine Erfolgsstory begeistert, auch über die Kernzielgruppe hinaus. Sie ist lebendig. Cool. Sie kann sich messbar behaupten. The Digitale begreift Content Marketing als Publishing Business. Wir nutzen all das, was wir in klassischen Medien gelernt haben, um Marken zu Medien zu machen. Alles, was wir tun, messen wir.

Ein Beispiel, bitte.

Die ISPO gab es bislang vier Tage im Jahr. Eine Messe. Dort trifft sich die Weltsportbranche. Diese Plattform und starke Marke verlagert The Digitale gerade 365 Tage ins Netz. ISPO.com hat eine Balanced Scorecard. Da finden sich viele KPIs. Harte KPIs wie Verkaufszahlen von Tickets, Reichweite der Webseite oder Conversion. Weiche Kennzahlen wie Vertrauen zur Marke. Das lässt über NPS messen, den Net Promoter Score. Ist weich, aber auch wichtig.

Diese Ziele balanciert ihr dann mit dem Kunden?

Genau. Beispiel ISPO. B2B-Zielgruppe ausbauen gegenüber B2C-Zielgruppe ausbauen. Pure Reichweite gegenüber dem Ziel, die richtigen Leute auf die Seite zu bringen. Hits und Clicks gegenüber Bouncerates. Das wird gegeneinander abgewogen und priorisiert.

Welche Rolle spielt Technologie?

Fundamental. Ich sehe noch viele Mitbewerber, die Angst davor haben, zu viel zu messen. Weil das ihren Erfolg in Frage stellen könnte. Wir finden bei der Konkurrenz Webseiten, die fantastisch aussehen. Der Vorstand findet sie toll. Die Frau des Vorstands findet sie toll. Sobald man aber unter die Haube schaut, stellt man fest: Google findet sie nicht toll. Design, CI, Marke – das sind im Netz Sekundär-Tugenden. Eine Seite funktioniert nur dann, wenn ich die KPIs messen kann. Wir brauchen gute Medienmacher, die eine Story erkennen und umsetzen können. Gleichzeitig brauchen wir Technologie, um die richtige Story zu finden und um sie zu verbreiten.

Ich zahle auf mein Content Konto mit Inhalten ein und das bringt Zinsen

Das ist doch kein Hexenwerk. Ganz normaler Online-Journalismus.

Jaja, aber ich sehe Webseiten, die sind so gebaut, dass sie Google erzählen, bitte indiziere mich nicht. Ich sehe auch Kommunikatoren großer Unternehmen, die Facebook und Twitter hassen und ablehnen. Dabei finden sie genau dort statt, ob sie sich beteiligen oder nicht. Sie sollten lieber die Diskussion positiv beeinflussen. Dabei sein.

Ist Content Marketing günstiger als Werbung?

Im ersten Schritt kostet Content Marketing viel. Eine Redaktion aufbauen, SEO, Technologie etc. Auf mittlere Sicht sieht es anders aus. Wir müssen eben keine Keywords mehr teuer einkaufen. Es geht um organischen Traffic. Ich zahle auf mein Content-Konto mit Inhalten ein – und das bringt Zinsen. So hat es Stephan Goldmann mal gesagt. Mit der Zeit rechnet sich Content Marketing immer besser.

Es geht also um mittel- oder langfristige Zusammenarbeit?

Es ist ein Marathon. Mit der ISPO gucken wir bis 2020. Wir bauen hier schließlich ein neues Medium auf.

Warum boomt Content Marketing?

Klassische Bannerwerbung ist tot. Klassische Abspielstationen für meine Marketingaktionen, etwa Printmedien, fallen auch weg. Wenn ich mein eigenes Medium im Netz habe, bin ich davon nicht mehr abhängig. Beispiel Curved. E Plus hat es in kurzer Zeit geschafft, eine Millionenreichweite aufzubauen.

Klingt wie Corporate Publishing.

Ich nenne es Corporate Publishing 2.0. Die ADAC-Motorwelt, das ist Corporate Publishing 1.0. Was mache ich damit? Ich lege die ADAC-Motorwelt vom Briefkasten direkt auf das Altpapier. Im Netz funktioniert das schon gar nicht. Da haben Menschen ein Problem und suchen eine Lösung. Jetzt sind wir bei Content Marketing 2.0. Content Marketing, wie ich es verstehe, setzt nicht nur bei einer bestehenden Kundenbeziehung an, sondern bei den Themen, die interessant sind.

Kein Pseudojournalismus, sondern Nutzwertjournalismus

Und aus den Themen werden Storys, deren Erfolg gemessen wird?

Nicht immer. Das Problem mit Storytelling in der Praxis ist: Es ist toll, um Pitches zu gewinnen. Das Angebot, spannende journalistische Geschichten zu erzählen, findet der Kunde klasse. Ich stelle nur fest, dass es den Realitätscheck selten überlebt. Die finale Entscheidung wird oft von Menschen getroffen, die sich mit Storys nicht auskennen – gegen die gute Story.

Der Kunde als Chefredakteur, das ist wohl das Spiel.

Je nachdem, bei der ISPO gibt es einen Chefredakteur. Bei anderen Projekten kann es auch so laufen: Du erkennst die große Story. Das ist eine Heldenreise. Wahnsinn. Sagt der Kunde: Ich will aber gerne folgende Spezifikationen in meinem Artikel haben. Alles, was eine gute Geschichte ausmacht, fällt plötzlich hinten runter.

Der Vorwurf des Pseudo-Journalismus wird immer wieder laut. Da wird gerade genug gestritten. Mich interessiert: Ist das aus Nutzersicht relevant?

Der Kunde stellt Fragen. Er findet eine Antwort. Ist die gut, ist er zufrieden. Draufklicken. Draufbleiben. Das entscheidet. Kein Pseudojournalismus, sondern Nutzwertjournalismus. Wie bei CHIP. So arbeiten wir auch bei der ISPO.

Sollte man den Absender hinter Kunstnamen verschleiern?

Nein, ich glaube an Transparenz. Ich brauche eine Marke. Journey auf Coca Cola Online. Die Allianz auf Allianzdeutschland.de. Der Absender sollte klar sein. Unser Ziel ist ja Branding.

Transparenz als Pflicht?

Wie willst du das durchsetzen?

Etwas altmodisch: ein Content Marketing-Kodex?

Eine prinzipielle Ethik wäre wichtig. Man müsste nur genau definieren, für wen sie gelten soll.

Lousy Pennies habe ich schnell als Möglichkeit des Selbstmarketings entdeckt

Welche Rolle spielen Resonanz, Austausch, Interaktion im Content Marketing?

Das ist uns sehr wichtig. Nicht nur in Form von Klicks, sondern in Form von Kommentaren oder Shares. Das ist die nächste große Stufe. Noch sind wir zu sehr auf Senden. Für mich ist die Möglichkeit zu kommentieren eins der essentiellen Elemente des digitalen Publizierens.

Mit allen Unwägbarkeiten?

Ja. Du musst eben schnell reagieren. Fragen beantworten. Hetz-Antworten löschen.

Gibt es so etwas wie persönliches Content Marketing?

Klar. Du zum Beispiel betreibst ja gerade Content Marketing mit Strategisches-storytelling.de.

Könnte man so sehen.

Bei mir war es LousyPennies. War zwar nie so gedacht, aber ich habe es sehr schnell als Möglichkeit des Selbstmarketings entdeckt. Jetzt muss ich keine Akquise mehr machen. Die Aufträge kommen von selbst.

Brauchen auch Festangestellte Content Marketing?

Ja, unbedingt. Vielleicht müssen sie nicht unbedingt bloggen, das ist sehr aufwändig. Aber sie sollten aktiv in sozialen Netzwerken sein. Das macht sie bekannt. Darauf gucken Unternehmen verstärkt. Sie stellen dich an, weil du viele Follower mitbringst. Wie bei TV-Moderatoren. Zumindest gilt das für meinem Bereich.