Dank COVID gucke ich mehr Netflix-Serien denn je. Für diesen Beitrag habe ich mich gefragt: Was sind eigentlich meine Storytelling-Lektionen von Netflix (Original-Serien und lizensierte)? Was können Business Storyteller aus großartigen Serien wie Haus des Geldes, Elite, Bridgerton oder How to get away with Murder lernen?

Eins wird deutlich: Netflix lässt mich härter in neuen Realitäten aufschlagen. Netflix schafft einen Mix aus Plots und Figuren, der von der ersten Folge an süchtig macht. Netflix löst sich von traditionellen Werten: die Bösen sind nicht mehr die anderen, die Schuld oder Unschuld ist kollektiv. Die lineare Erzählung ist tot. Das Opernhafte hält Einzug und die Kameras tanzen.

Was ich von den Serien gelernt habe und was wir daraus übernehmen, um selbst auf der Höhe der Zeit zu erzählen – in Vorträgen, Präsentationen, an der Kaffeetheke?

Hier sind meine 10 Storytelling-Lektionen von Netflix:

1. Fang am Ende und am Anfang

Elite beginnt mit Blut, dann geht die Schule los. How to get away with murder zeigt im Flackerlicht, wie die späteren Hauptfiguren jemanden in einen Teppich einrollen und in der Nacht durch den Wald irren, dann beginnt die Vorlesung.

2. Schneide, schneide, schneide

Und zwar so, dass sich am Anfang keiner auskennt – nur diese Ahnung hat, dass, was auch immer jetzt kommt zu keinem guten Ende führt. Oder, etwas allgemeiner: Zu einem Ende führt, das keiner der Beteiligten zu Beginn als realistisch beschrieben hätte.

3. Überzeichne deine Figuren

Wir sind nicht mehr in Star Wars oder im Herrn der Ringe. In den neuen Serienrealitäten gibt es kein Gut und Böse mehr, sondern nur noch Grade von Verstrickung, wie etwa in How to get away with murder. Jeder ist gut, ist böse, nutzt das Böse, um Gutes zu tun, will Gutes tun und richtet Böses an. Wir sind wieder in der vorchristlichen Welt der attischen Tragödie.

4. Hänge Archetypen in zeitgemäße Wertesysteme

In meinen Workshops zur Heldenreise frage ich jeden zu Beginn: Wer ist dein Held? In diesem Jahr nannte zum ersten Mal jemand einen Serienhelden: den Professor aus Haus des Geldes. Warum? Weil er von heute ist – ein Nerd. Und weil er zugleich ein klassischer Rebell und Held ist – ein Nerd mit einer Mission und einem Plan. Und mit einem guten Herz.

5. Verstricke alle Figuren zu einer einzigen Figur

Keiner kann sich mehr bewegen, ohne dass die anderen sich mitbewegen. Jeder hängt an jedem, mit oder ohne Absicht. How to get away with murder ist das beste Beispiel. Das ist eine der zentralen meiner 10 Storytelling-Lektionen von Netflix.

6. Schuld und Unschuld sind kollektiv

Daraus ergibt sich, dass selbst der Täter wie zum Beispiel in Elite niemals allein der Täter ist. Die letzte Staffel der Serie treibt die Idee der kollektiven Täterschaft auf geniale Art ad absurdum. Wir sind beim Mord im Orient Express – nur mit einer ganz anderen Tiefe.

7. Mixe Gestern und Heute

In Bridgerton spielen die Streichorchester Pop von heute zu den Kostümen des frühen 19. Jahrhunderts. Die Auswahl der Darsteller folgte dem Prinzip Colorblind. Bravo.

8. Lass die Kamera tanzen

Elegant schwebt die Kamera in Bridgerton vor den Figuren, wenn sie durch die Gänge oder Gärten wandeln. Sie schwebt über ihnen, wenn sie Geheimnisse teilen. Sie öffnet die Welt der Salons und scheint bisweilen alle gleichzeitig zeigen zu wollen. In How to get away with murder wirkt sie wie eine ironische Erzählerin und zeigt uns Details, die die Figuren am liebsten verbergen würden.

9. Vergiss niemals die Cliffhanger

Warum nur einen Cliffhanger am Ende einer Folge, wenn man auch gleich mehrere haben kann? Bridgerton neigt zur Cliffhangeritis – es ist fast zu viel. Elite dagegen hat perfekt abgestimmte Parallelhandlungen.

10. Spare nicht an der Ausstattung

Ein Musterbeispiel für eine opulente, opernhafte Ausstattung ist Bridgerton. Die Kostüme, die Settings, das Konfetti, das Feuerwerk, die Farben, die Vielzahl der Figuren, das Handlungsgeflecht, kurzum: die Neigung zur Überdosis. Solange die Handlung nicht abflacht – die größte Gefahr bei Serien.