Welche Zukunft hat interaktives Storytelling außerhalb vom Computerspielen? Ein Vergleich von zwei Folgen der Netflix-Serie Black-Mirror und ihrer Wirkung: Bandersnatch und Krokodil. Während Krokodil die Story klassisch erzählt, erlaubt Bandersnatch dem Zuschauer zu entscheiden, welchen Weg die Story nimmt.
Bandersnatch erzählt die Geschichte des jungen Programmierers Stefan Butler, der 1984 einen Fantasy-Abenteuerroman in ein Videospiel verwandelt. Für Bandernatch hat Netflix ca. 5 Stunden Filmmaterial gedreht. Der Film dauert aber nur 1,5 Stunden. Immer wieder kommen Zuschauer an Punkte, wo sie den Lauf der Story prägen. Sie wählen, welche Musik der Protagonist wählen soll, ob er ein Jobangebot annimmt, ob er seine Medikamente nimmt, ob er vom Balkon springt.
Ganz anders die düstere Black-Mirror-Folge Krokodil. Hier entscheidet sich die Protagonistin Mia für eine Kette von Morden, die ihre heile Welt retten sollen. Am Ende überführt sie ein Hamster, der einzige überlebende Augenzeuge. Ein Gerät namens „The Corroborator“ schaut in seine Erinnerungen. Was Krokodil auszeichnet, ist Radikalität der Entscheidung. Wir erleben, wie sich die Mutter Mia in ein Monster verwandelt.
Challenge. Choice. Outcome. Das ist das Grundgerüst von Storys. Am Ende ergibt sich daraus nicht nur ein Weg des Helden, sondern auch eine Moral. Die Frage ist, was passiert, wenn ich die Entscheidungen selbst fälle, anstatt sie dem Helden/Autor zu überlassen?
Hinter der Black Mirror-Folge Bandersnatch verbirgt sich ein Labyrinth von Filmen: interaktives Storytelling auf höchstem Niveau …
Was sagen die Medientheoretiker? Kurz zusammengefasst ungefähr das: Interaktives Storytelling setzt auf den Spieltrieb des Menschen. So entsteht eine starke Beziehung zwischen dem Zuschauer oder vielleicht besser Nutzer und dem Inhalt. So entsteht ein Erlebnis, das besser erinnert wird.
Das mag sein, doch der Aufwand ist enorm, denn lapidares interaktives Storytelling wird schnell langweilen. Ich meine aber nicht nur den Aufwand, den in diesem Fall Netflix hat, indem hinter einem Film eigentlich ein Labyrinth von Filmen hinterlegt ist. Ich meine auch den Aufwand des Zuschauers.
Will ich das wirklich: eingreifen, entscheiden? Liegt nicht die Magie von Storys gerade darin, in andere Menschen hineinsehen zu dürfen. Ihre Entscheidungen zu erleben, ihre Motive zu verstehen? Ist nicht das gerade das Besondere an Storys, das sie in unseren Köpfen und Herzen verankert? Ich denke schon. Es ist das, was uns am Ende lernen lässt.
… und doch fehlt etwas: die Echtheit, die sich in der Zwangsläufigkeit von Entscheidungen zeigt
Insofern ist interaktives Storytelling, wie Netflix es mit Bandersnatch in aufwendiger Weise inszeniert, ein Experiment. Das für mich leider schon an der ersten Hürde scheitert: Es geht davon aus, dass wir uns ständig entscheiden können. Das aber ist, je weiter ich in eine Story eintauche, das heißt in einen Versuch des Helden gegen Widerstände ein Ziel zu erreichen, umso illusorischer. Gerade in der Zwangsläufigkeit der Entscheidung offenbart sich eine Figur. Sie kann nicht anders.
Das bedeutet keinesfalls, dass interaktives Storytelling für mich keine Zukunft hat. Nur eben in anderen Bereichen als im Film. Etwa im Journalismus wie hier in der New York Times, für die Vermittlung der Basics von Spieltheorie, oder als Ratgeber, der dir zeigt, wie viel Geld du sparen könntest, wenn du deinen Lastern abschwörst.