Die Story vom kleinen Roboter soll auf einfache Art deutlich machen, dass Gefühle bei Maschinen niemals möglich sind. Nur Tier und Mensch fühlen. Oder? Was heißt das eigentlich, fühlen?

Hier ist die Story, die eine der Programmiererinnen in meinem gerade erschienenem Roman Der Delphi Code erzählt.

Vicky und ihr Lover Alain sitzen beim Abendessen auf Lantau Island. Sie ist Expertin für künstliche Intelligenz, er ist Autor, ein Experte für Storytelling. Die Szene beginnt mit einer Frage Alains:

„Ich würde gern wissen, ob es eine Grenze gibt zwischen Mensch und Maschine, ein Bis-hierher-und-nicht-weiter. Oder ob das nur eine Illusion ist und die Maschi­nen irgendwann, vielleicht sogar sehr bald, alles können, was wir können. Dass sie Gefühle haben wie wir und Millionen Mal klüger sind und uns abhängen, wie der Homo Sapiens im Lauf der Evolu­tion den Rest der Lebewesen hinter sich gelassen hat.“

„Also gut.“ Victoria legt ihre Stäbchen auf die Serviette, wischt ihre Hände mit einem Erfrischungstuch ab und trinkt einen Schluck Bier. „Ich sag dir ein Beispiel: Ein kleiner Roboter lebt in einer Ga­rage. Er muss regelmäßig zur Ladestation und hält ansonsten, sagen wir, die Garage sauber. Eines Tages kommt der Besitzer rein, geht zum Roboter und tritt ihn. Am nächsten Tag kommt er wieder und tritt ihn erneut. So geht es weiter. Irgendwann versteckt sich der Roboter hinter einer Werkzeugkiste, weil sein Algo­rithmus ihm sagt, er solle sicherstellen, dass er funktioniert. Doch seine Sen­soren sagen, dass er schneller kaputtgeht und seine Aufgabe bald nicht mehr erfüllen kann, wenn er weiterhin täglich getreten wird. Für einen Außenstehenden könnte es so aussehen, als wenn der Roboter, der sich hinter dem Werkzeugkasten versteckt, Gefühle hat. Furcht, Angst, Sorge.“

Könnte das aussehen wie Liebe?

„Hat er aber nicht, weil er schließlich nur den Anwei­sungen seiner Software folgt.“

„Denke ich auch“, sagt Victoria. „Wir interpretieren das in sein Verhalten hinein, weil ein Mensch sich so verhalten würde.“

„Genau.“

„Aber was sind Gefühle? Sind sie nicht auch bei Menschen Im­pulse, die uns über unseren Zustand informieren? Dann wären wir ja gar nicht so anders als der kleine Roboter, der die Garage aufräumt.“

Der Kellner bringt ihnen zwei Flaschen eiskaltes Bier. Sie stoßen an und sehen die letzte Fähre nach Hongkong Island vorbei­fahren.

„Ich glaube, den Unterschied zwischen dem kleinen Roboter und einem Menschen zu erkennen“, sagt Alain.

„Tatsächlich? Was wäre, wenn ein zweiter Roboter da wäre, der ebenfalls getreten würde, dessen Algorithmus aber nur bedingt lernfähig ist? Der sich nicht versteckt. Würde der erste Roboter ihn zu sich hinter den Werkzeugkasten ziehen?“

„Wofür ist das wichtig?“

Könnte das aussehen wie Mitgefühl?

„Könnte aussehen wie Mitgefühl.“

„In der Tat.“

Victoria schmunzelt. „Siehst du. Ich muss gerade an Pixar denken und diesen Film mit den beiden Robotern, die sich inein­ander verlieben. Poetisch. Aber doch nur ein Animationsfilm.“

Sie mag keine Roboter, aber WALL.E ist so ein wunderbarer Film.

„Was wäre, wenn der Mensch den Roboter jeden Tag pflegt, dafür sorgt, dass er besser in Schuss ist?“, fragt sie jetzt. „Würde der Roboter dann täglich an der Tür auf den Menschen warten? Wie ein Hund oder eine Katze? Könnte das aussehen wie Liebe?“

Alain nickt.

„Aber es sähe eben nur so aus, weil es ja eigentlich um Funktio­nalität geht, darum, Aufgaben, die ein Algorithmus Schritt für Schritt festlegt, zu erledigen.“

„Stimmt.“

„Weil Liebe und Angst mehr sind als Funktionen für unser Über­leben? Würdest du da zustimmen?“

„Das würde ich. Meiner Erfahrung nach gibt mir jedes Gefühl nicht nur Informationen über mich, sondern erschließt zugleich die Welt. Die höchste Subjektivität ist zugleich die höchste Objek­tivität.“

Victoria denkt, wenn er solche Dinge sagt, dann komme ich mir vor wie dieser blitzend weiße Roboter, der sich in das alte Modell verliebt, weil er im Rost das Rührende erkennt. Verlegen schichtet sie die Schalen der Gambas auf ihrem Teller zu einem kleinen Haufen. Sie sagt: „Mein Delphi Code kennt deine Gefühle besser als du selbst.“

„Das hast du schon öfter gesagt. Es klingt nett. Aber: Wer will denn das?“

Das war die Story vom kleinen Roboter im Originalton, ein Auszug aus meinem soeben erschienenem Roman Der Delphi Code. Inspiriert dazu, diese Geschichte in meinen Roman aufzunehmen, hat mich KI-Crack Jürgen Schmidhuber.