Philosophen führen gerne Storys, Anekdoten oder Beispiele an, um ihre Theorien zu veranschaulichen. In seinem Hauptwerk Das Sein und das Nichts erzählt der französische Philosoph Jean-Paul Sartre die Geschichte vom Kellner. Sie illustriert sein Konzept der Unaufrichtigkeit.

Vielleicht war es es im Café Flore. Jean-Paul Sartre trat ein, suchte sich einen Platz, bestellte einen Espresso, zündete sich eine Zigarette an und beobachtete die Menschen genau, bevor er manisch zu schreiben begann. Sartre liebte es, in Cafés zu schreiben.

Storys machen abstrakte, philosophische Gedanken und Konzepte greifbar

An diesem Tag fesselte seinen Blick das geschäftige Treiben des Kellners. Und diese Geschichte vom Kellner wird Sartre später in Das Sein und das Nichts aufschreiben:

„Er hat lebhafte und eifrige Bewegungen, etwas allzu präzise, etwas allzu schnelle, er kommt mit einem etwas zu lebhaften Schritt auf die Gäste zu, er verbeugt sich mit etwas zu viel Beflissenheit, seine Stimme, seine Blicke drücken ein Interesse aus, das etwas zu viel Aufmerksamkeit für die Bestellung des Gastes enthält, nun kommt er endlich zurück und versucht, mit seinem Gang die unbeugsame Strenge irgendeines Automaten zu imitieren, während er gleichzeitig sein Tablett mit einer Art Seiltänzerkühnheit trägt (…). Sein ganzes Verhalten wirkt auf uns wie ein Spiel. (…) Er spielt, es macht ihm Spaß. Aber was spielt er? Man braucht ihn nicht lange zu beobachten, um sich darüber klarzuwerden: er spielt Kellner sein.“

Ohne tiefer in die Existenzphilosophie des Franzosen einzusteigen, kann jeder den Gedanken verstehen – weil er mit einer kleinen Geschichte verbunden ist, die ihn erklärt. Wir verstehen, dass diese Unaufrichtigkeit eine Art Selbsttäuschung ist, die in der Philosophie von Sartre einen zentralen Stellenwert hat. Die Grundidee: Wir übernehmen wie der Kellner ein Bild von Außen, damit wir uns die Frage, wer wir sind, nicht mehr zu stellen brauchen.

Ein Grund, warum die Philosophie Sartres so populär geworden ist, hängt mit seinem Storytelling zusammen. Eine von Sartres großen Stärken besteht darin, Philosophie erzähl- und greifbar zu machen, wie in der kleinen Geschichte vom Kellner.