Eine Analyse der Rede von Jacinda Ardern zeigt vor allem eins: Die Neuseeländische Premierministerin beherrscht Storytelling souverän, obwohl sie scheinbar gegen alle Regeln verstößt. Und sie unterbietet mit knapp drei Minuten sogar die Redezeit von Abraham Lincolns Gettysburgrede, zumindest versucht sie es.

Die Rede, die ich meine, hielt Ardern 2019. Es ist ein Video, das so etwas wie einen Rechenschaftsbericht enthält, über das, was sich in den zwei Jahren ihrer Amtszeit in Neuseeland getan hat.

Die Grundstruktur ihrer Rede ist eine Aufzählung, also etwas, von man besser die Finger lässt, wenn es darum geht, Menschen zu berühren. Aufzählungen ermüden. Das ist die Regel. Die Analyse der Rede von Jacinda Ardern zeigt, dass es auch anders geht. Aufzählungen machen munter. Wenn die Inhalte stimmen. Und der Vortragsstil. Und der Rahmen.

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Da ist die Begeisterung, mit der Ardern all die Dinge aufzählt, die sich in Neuseeland getan haben. Wir sehen, wie glücklich sie ist, all das erreicht zu haben. Wir fühlen, wie sehr sie das Wohlergehen der Bürger ihres Landes berührt. Sie zählt nicht nur Fakten auf, das ist ihr Leben. Sie blickt dich direkt an, die ganze Zeit, ohne ein einziges Mal wegzusehen. Sie ist hellwach. Sie lacht offen und freundlich. Sie meint dich.

Arderns Technik: Kurze, schnelle Fakten, jeder Satz beginnt mit dem Wort We. We’ve created 92.000 Jobs. We’ve built more than 2.200 state houses. Und: We’ve banned offshore speculators. Und so weiter. Wir denken: Oha, dieses Energielevel, gebündelt mit so viel sympathischer Ausstrahlung wünschen wir uns auch für unsere Politiker.

Start the clock!

Wäre das allein eine spannende Rede? Vielleicht. Aber: Bei Adern läuft deutlich sichtbar die Uhr. Sie hat ein Zeitlimit und zwar ein sehr knappes im Kontext politischer Reden. Es geht um eine Challenge. Ob es ihr gelingt, in zwei Minuten zu erzählen, was sie und ihr Team in zwei Jahren geleistet haben. Und so entsteht Spannung. Unabhängig von dem, was sie sagt, wollen wir wissen, ob sie es schafft, alles in zwei Minuten zu erzählen.

Und als es ihr dann nicht gelingt, haben wir die Challenge längst vergessen, weil die Inhalte ihrer Aufzählung so stark wirken. Irre, was diese Regierung erreicht hat. Doch zu Beginn ist das Framing dringend nötig, damit wir überhaupt zuhören. Die Idee der Challenge weckt Aufmerksamkeit.

Sie sagt: This week is the two-year anniversary of the creation of this government and the team has decided to set me a challenge to see whether or not I can run through the last two years in two minutes. So, here’s some key headline achievements. Not everything but I’m gonna see whether or not I can get some of it in. So: start the clock!“

Die Learnings

Die Analyse der Rede von Jacinda Ardern zeigt eindrucksvoll, dass eine Rede, die nur wenige Minuten dauert, Menschen nachhaltig berühren kann. Sie enthält für mich sieben Learnings:

  1. Fasse dich kurz
  2. Erzeuge Spannung, lass die Uhr laufen und trete gegen sie an
  3. Zähle die wichtigsten Fakten auf, nutze Textüberblendungen, damit sich die Fakten besser einprägen
  4. Sei leidenschaftlich
  5. Zeige deine Bestimmung
  6. Vermeide das Ich, nutze stattdessen die Wir-Form
  7. Schließlich: Erzähle großartige Inhalte, sonst nützt die beste Form nichts

So entsteht dieser Sog-Effekt. Ihre Rede, verbreitet über Video, wirbt für sich selbst. Ich will sie noch einmal sehen, weil mir bei ersten Ansehen alles zu schnell ging, ich die Inhalte gar nicht erfassen konnte. Vielleicht auch noch ein drittes Mal. Und dann muss ich sie teilen.

Ach: Einen Punkt hätte ich fast vergessen. Es ist Jacinda Arderns Lachen. Vielleicht ist das sogar ihre stärkste Lektion: was es bedeutet, den Menschen ein Lachen zu schenken – trotz all der schwierigen Themen. Oder gerade deswegen.