Storytelling im Change-Prozess: Welche offizielle Geschichte wird erzählt? Und wie lautet die Geschichte der Betroffenen? Ein in Harvard gelehrtes Framework erklärt die vier möglichen Varianten und hilft Ihnen, Ihre Ziele zu erreichen.

Ein typischer Leitfaden für Change Storys fragt eine Reihe von Aspekten ab. Die zentralen Fragen sind:

  • Wohin geht es?
  • Wie geht es dorthin?
  • Warum geht es dorthin?
  • Wer sind die betroffenen Stakeholder?
  • Was bleibt gleich?

Die Veränderung wird so in einen größeren Kontext eingebettet. Der sich bei gutem Storytelling nicht nur begreifen, sondern auch fühlen lässt. Da Menschen von Veränderungen grundsätzlich verunsichert sind, sollten sie auf beiden Ebenen mitgenommen werden – emotional und rational. Während des Change-Prozesses wird auch die Story immer weiter entwickelt und gewährleistet so, dass möglichst viele der Betroffenen dabei und idealer Weise begeistert sind.

Welche Change Storys werden erzählt?

So das grundsätzliche Modell. Wir können es auf unsere eigene Story anwenden, auf Veränderungen im Unternehmen oder im politischen Kontext.

Dieser Leitfaden lässt allerdings eine Sache außer acht, die nicht ganz unbedeutend für den Verlauf von Change-Prozessen ist: Meist gibt es mindestens zwei konkurrierende Storys und damit verschiedene erzählerische Deutungen der Lage. Eine zusätzliche Frage wäre also: Welche Change-Storys werden erzählt und wie ließe sich daraus eine Change Story machen?

Ein Modell, das an der Harvard-Universität gelehrt wird, stellt vier Möglichkeiten vor. Sie leiten sich ab aus der „alten“ und der „neuen“ Story. Die alte Geschichte ist die Erzählung über den Status quo und darüber, wie die Dinge waren, bevor die Veränderung eintrat. Die neue Geschichte ist die Erzählung über die neue Realität, die nach der Veränderung existiert.

Storytelling im Change-Prozess: 4 Reaktionen auf Veränderungen entlang eines Spektrums

Veränderung ablehnen: Beharren auf der alten Geschichte

Diese Story zielt darauf ab, eine Veränderung zu ignorieren, sie zu stoppen oder rückgängig zu machen. Sie fordert uns auf, Veränderungen als unvereinbar mit den Werten der alten Geschichte zu betrachten. Sie kann die Form einer fundamentalistischen Reaktion annehmen, die Sicherheit in der Vergangenheit sucht, indem sie eine gefährliche Gegenwart oder Zukunft ausblendet. Ängst spielen in dieser Geschichte eine wichtige Rolle.

Beispiel 1: Umzug. Ein Unternehmen will umziehen und von kleinen Büros auf Open Space umstellen. Das wird in dieser Story von Mitarbeitern abgelehnt mit dem Verweis auf Nähe und Cosyness als zentralem Wert. Es hat doch alles sehr gut funktioniert bis heute.

Beispiel 2: Thema Immigration in den USA. Change leugnen: Eine Mauer bauen.

Veränderungen hinnehmen: Akzeptieren von Elementen des Wandels, eingefügt in die alte Geschichte

Diese Story akzeptiert nur so viel Veränderung, wie innerhalb der alten Geschichte untergebracht werden kann. Sie erkennt an, dass die alte Geschichte nur aufrechterhalten werden kann, wenn man Elemente der Veränderung akzeptiert. Doch man akzeptiert nur so viel Veränderung, wie nötig ist, um die alte Geschichte zu bewahren.

Beispiel 1: Umzug. Die Mitarbeiter erklären sich bereit einen Aspekt der Offenheit aufzunehmen. Vorschlag: Mehr Offenheit durch Glaswände.

Beispiel 2: Change Rechnung tragen: Die Immigranten können sich anpassen, wir sind ein Schmelztiegel.

Anpassung an den Wandel: Akzeptieren von Elementen der alten Geschichte, eingefügt in die neue Geschichte

Diese Story interpretiert den Wandel als ihre Grundlage, greift aber auf genügend Elemente der alten Geschichte zurück, um einen Übergang zur neuen Geschichte zu ermöglichen. Bewahren, um zu verändern, das ist die Logik. Um zu einer neuen Geschichte überzugehen, bringt eine Anpassungsreaktion Elemente der alten Geschichte ein, die den Wandel auf lang gehegten Werten gründen. So gelangt man zu einer progressiven Erzählung des Wandels.

Beispiel 1: Umzug. Die Geschäftsführung verbindet Elemente von Cozyness und Nähe mit neuer Offenheit und Flexibilität durch Integration von Lounges, Cafés etc. in den Open Space.

Beispiel 2: Anpassen an Change: Wir unterstützen Multikulturalismus. Jeder sollte mehr als eine Sprache sprechen.

Ablehnung der Kontinuität: Den Wandel umarmen und auf eine neue Geschichte bestehen.

Diese Story umarmt den Wandel und ist unvereinbar mit der alten Geschichte, die sie als veraltet und wertlos ablehnt. Es geht darum, eine gänzlich neue Geschichte zu erzählen, mit der Absicht, die alte Geschichte völlig hinter sich zu lassen. Der Wunsch, vollständig mit der Vergangenheit zu brechen (oder sogar zu leugnen, dass sie existierte), kann uns jeglicher Handlungsmöglichkeiten berauben und eine neue Art von Abhängigkeit schaffen.

Bei diesem Ansatz ist die Vergangenheit nur allzu offensichtlich unvollkommen, während die Zukunft als reines Potenzial die verlockende Möglichkeit der Vollkommenheit in sich birgt. Im Extremfall kann die Ablehnung von Kontinuität genau wie die Ablehnung von Wandel zu Radikalität führen.

Beispiel 1: Umzug. Die Geschäftsführung will eine neue Offenheit, um neue, kreative Formen interdisziplinärer Zusammenarbeit zu ermöglichen. Open Space pur ist alternativlos.

Beispiel 2: Kontinuität leugnen. Wir sollten keine Grenzen haben. Wir heißen jede und jeden willkommen.

Storytelling im Change-Prozess: Welche Geschichten sind mehrheitsfähig?

Die Darstellung der vier Storys zeigt sehr deutlich, dass auf den beiden Extremen wenig Segen liegt, wenn Veränderung nötig ist. Mir scheint, dass Story 1 und 4 sich sogar eher gegenseitig pushen, je radikaler die eine, desto radikaler auch die andere.

Wer eine neue Story erzählt, sollte sich bei all den generellen Überlegungen, wie diese Story entwickelt wird, zunächst einmal fragen: Welche Geschichte werden sich diejenigen erzählen, die dadurch verunsichert, vielleicht verängstigt sind? Die dahinter stehenden Werte und Gefühle brauchen Raum in der Change Story. Ob Story 2 oder 3 vielversprechender ist, hängt stark von der Situation ab.

Zum Thema Change Storytelling finden sich noch verschiedene Beiträge in diesem Blog.