20 Zitate von Robert Musil, der mit „Der Mann ohne Eigenschaften“ einen der genialsten Romane des 20. Jahrhunderts verfasste – über Jugend, Reichtum, Wahrheit.
Der Kärtner Musil (1880–1942) studierte Maschinenbau, später Philosophie und Psychologie, war österreichischer Offizier und wurde schließlich Verfasser eines Jahrhundertromans, der mit Thomas Manns „Zauberberg“ und Marcel Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ in einem Atemzug genannt wird.
Die 20 Zitate von Robert Musil zeigen vor allem eins: was für ein Sprachgenie er war. Niemand kann so gekonnt und elegant Metaphern einsetzen wie er. Niemand hat diese spöttische Ironie. Und niemand hat mich in einem Roman so oft dazu gebracht, laut zu lachen. Und das, obwohl der Roman eigentlich keine Handlung hat: Das Storytelling tanzt auf der Stelle und bringt mich als Leser doch viel weiter als klassische Romane nach Heldenreise.
Darüber hinaus ist der Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ aktueller denn je. Sein Thema ist die Planung einer politischen Aktion, die Österreichs Größe demonstriert – und zwar in einem Jahr der Seele. Das passiert 1912, kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs. Alle Gedankenströme dieser Zeit fließen in dem Roman zusammen und deuten auf das Verheerende, das bereits am Horizont erscheint.
20 Zitate von Robert Musil
Das wahrhaft Große. Dort, wo man weniger auf die Person als auf die Sache sieht, ist merkwürdigerweise immer von frischem eine neue Person da, die die Sache vorwärts führt; wogegen sich dort, wo man auf die Person achtet, nach Erreichung einer gewissen Höhe das Gefühl einstellt, es sei keine ausreichende Person mehr da und das wahrhaft Große gehöre der Vergangenheit an.
Zeitnot. Sie litten alle unter der Angst, keine Zeit für alles zu haben, und wußten nicht, dass Zeit haben nichts anderes heißt, als keine Zeit für alles zu haben.
Ideale. Ideale haben merkwürdige Eigenschaften, unter anderem die, dass sie in ihr Gegenteil umschlagen, sobald man sie verwirklicht.
Die Anstrengung des Nichtstuns. Könnte man die Sprünge der Aufmerksamkeit messen, die Leistungen der Augenmuskeln, die Pendelbewegungen der Seele und alle die Anstrengungen, die ein Mensch vollbringen muß, um sich im Fluß einer Straße aufrecht zu halten, es käme vermutlich – so hatte er gedacht und spielend das Unmögliche zu berechnen versucht – eine Größe heraus, mit der verglichen die Kraft, die Atlas braucht, um die Welt zu stemmen, gering ist, und man könnte ermessen, welche ungeheure Leistung heute schon ein Mensch vollbringt, der gar nichts tut.
Genie und Durchschnitt. Nicht das Genie ist hundert Jahre seiner Zeit voraus, sondern der Durchschnittsmensch ist um 100 Jahre hinter ihr zurück.
Wahrheit. Die Wahrheit ist eben kein Kristall, den man in die Tasche stecken kann, sondern eine unendliche Flüssigkeit, in die man hineinfällt.
Gemeinheit. Die ganz große Gemeinheit entsteht heutzutage nicht dadurch, daß man sie tut, sondern dadurch, daß man sie gewähren läßt.
Tyrannischer Verstand. Wir haben keine inneren Stimmen mehr; wir wissen heute zu viel, der Verstand tyrannisiert unser Leben.
Jugend und Charakter. In unserer Jugend war Charakter das, wofür man Prügel bekommt, obwohl man es nicht hat.
Urteilen. Man braucht, um über einen Menschen richtig zu urteilen, oft ein ganzes Leben.
Reichtum I. Nur Leute, die kein Geld haben, stellen sich Reichtum wie einen Traum vor; Menschen, die ihn besitzen, beteuern dagegen bei jeder Gelegenheit, wo sie mit Leuten zusammentreffen, die ihn nicht besitzen, welche Unannehmlichkeit er bedeute.
Leben in Etagen. Von den Unglücksvögeln und Glückspilzen abgesehen, leben alle Menschen gleich schlecht, aber sie leben es in verschiedenen Etagen. Diese Selbstgefühlslage der Etage ist für den Menschen heute, der ja im allgemeinen wenig Ausblick auf den Sinn seines Lebens hat, ein überaus erstrebenswerter Ersatz.
Reichtum II. Reiche Leute versichern dann auch mit Vorliebe bei jeder Gelegenheit, dass das Geld am Werte eines Menschen nichts ändere; sie wollen damit sagen, dass sie auch ohne Geld soviel wert wären wie jetzt, und sind immer gekränkt, wenn ein anderer sie mißversteht. Leider widerfährt ihnen das gerade im Verkehr mit geistvollen Menschen nicht selten. Solche besitzen merkwürdig oft kein Geld, sondern nur Pläne und Begabung, aber sie fühlen sich dadurch in ihrem Wert nicht gemindert, und nichts scheint ihnen näher zu liegen, als einen reichen Freund, für den das Geld keine Rolle spielt, zu bitten, dass er sie aus seinem Überfluss zu irgendeinem guten Zweck unterstütze. Sie begreifen nicht, dass der reiche Mann sie mit seinen Ideen unterstützen möchte, mit seinem Können und seiner persönlichen Anziehungskraft.
Napoleon. Sobald jemand im Rufe steht, ein Napoleon zu sein, gewinnt er auch seine verlorenen Schlachten.
Seele. Es gibt Minuten, in denen alle verborgenen Edelsteine der Seele offenliegen!
Staatsdummheit. Der Staat gibt Geld für jede Dummheit her, für die Lösung der wichtigsten moralischen Fragen hat er aber nicht einen Kreuzer übrig. Das liegt in seiner Natur, denn der Staat ist das dümmste und boshafteste Menschenwesen, das es gibt.
Geflügelte Gedanken. Man hat für hochfliegende Gedanken eine Art Geflügelfarm geschaffen, die man Philosophie, Theologie oder Literatur nennt, und dort vermehren sie sich in ihrer Weise immer unübersichtlicher, und das ist ganz recht so, denn kein Mensch braucht sich bei dieser Ausbreitung mehr vorzuwerfen, daß er sich nicht persönlich um sie kümmern kann.
Über die Dichte. Es gibt übrigens in der Welt viele Dinge, die einzeln für den Menschen etwas ganz anderes bedeuten als beisammen; zum Beispiel Wasser ist in zu großen Mengen ein genau um den Unterschied zwischen Trinken und Ertrinken geringeres Vergnügen als in kleinen, und um Gifte, Vergnügungen, Muße, Klavierspiel, Ideale ist es ähnlich bestellt, ja wahrscheinlich um alles, so daß es ganz und gar von dem Grad seiner Dichtigkeit und anderen Umständen abhängt, was etwas ist.
Schönheit und Liebe. Man liebt nicht nur etwas, weil es schön ist, sondern es wird auch schön, weil man es liebt.
Klugheit und Dummheit. Sowohl aus Angst, dumm zu erscheinen, als auch aus der, den Anstand zu verletzen, halten sich viele Menschen zwar für klug, sagen es aber nicht.