Die Heldenreise von Jane Goodall ist eine der großen Erzählungen unserer Zeit. Sie handelt von einer jungen Engländerin, von kleinauf verliebt in Afrika, die ohne akademische Ausbildung in Tansania Schimpansen erforscht. Die revolutionäre Erkenntnisse über diese Spezies ermöglicht und später zur weltweit bekannten Natur-Aktivistin und Friedensbotschafterin wird.
Jane Goodall war eine großartige Erzählerin. Ihr Storytelling hatte viele einzigartige Momente, etwa die Tatsache, dass sie viele ihrer Vorträge mit dem Schrei der Schimpansen begann, wenn diese sich begrüßen. Da ich das einmal live erleben durfte, weiß ich aus Erfahrung: Nach so einem Einstieg ist man hellwach und mittendrin im Thema.
Im Laufe ihres Lebens hat Jane Goodall viele Bücher verfasst, war Thema verschiedener Dokumentar- und Spielfilme. 2020 dokumentierte der Film The Hope ihr Wirken als globale Aktivistin für unseren Planeten. 2026 wird Dr. Janes Dream – The Goodall Center of Hope in Arusha, Tanzania eröffnet.
In diesem Beitrag zeige ich, wie sich Jane Goodalls Lebensgeschichte als Heldenreise darstellen ließe. Die Heldenreise ist ein Modell, das beim Erzählen von Geschichten, ganz gleich, ob im Kino, in Romanen oder auf Social Media stark wirkt. Natürlich ist meine skizzenhafte Form der Kurzbiografie mittels Heldenreise nur eine Annäherung, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Die 12 Stationen einer Lebensreise
Entdeckt wird die Heldenreise von dem US-Mythenforscher Joseph Campbell. Er beschreibt sie in seinem Buch Der Heros in 1000 Gestalten, das 1949 erscheint. Nachdem Campbell Tausende Mythen und Märchen analysiert hat, kommt er zu folgendem Schluss: Mehr oder weniger alle Storys haben die gleiche Grundstruktur.
Die Heldenreise mit ihren 12 Stationen erscheint auf den ersten Blick komplex. Etwas für Erzählprofis. Das ist sie aber nicht. Sie lässt sich psychologisch oder erzähltheoretisch erklären. Am einfachsten aber ist der Zugang anhand von Beispielen.
Jane Goodalls Leben passt nicht 1:1 in das Schema. Darum geht es aber auch nicht. Wichtig ist es, einen Blick für dramaturgische Strukturen zu bekommen, um das eigene Storytelling zu optimieren. Und dafür eignen sich Biografien ganz hervorragend. Darüber hinaus inspirieren sie uns, unsere eigene Lebensgeschichte als Heldenreise zu interpretieren.
Hier meine Annäherung an die Heldenreise von Jane Goodall.
ERSTER AKT: VON ENGLAND NACH AFRIKA
1. Etappe der Heldenreise von Jane Goodall: Vertraute Welt
Jane Goodall (1934-2025) wächst als ältere von zwei Schwestern erst in London, dann an der Südküste Englands auf. Sie ist die Tochter einer Romanautorin und eines Ingenieurs.
2. Etappe der Heldenreise von Jane Goodall: Ruf des Abenteuers
Sie liebt Tiere über alles. Verbringt als Kind Stunden im Hühnerstall, weil sie sehen will, wie die Hennen Eier legen. Ihre Lieblingsbücher sind Dr. Doolittle und Tarzan. Afrika zieht schon die junge Jane magisch an. Sie schreibt: Als ich klein war, liebte ich Tarzan und war auf Tarzans Jane eifersüchtig. Ich hielt sie für einen Schwächling und dachte, ich hätte so viel besser zu Tarzan gepasst!
3. Etappe der Heldenreise von Jane Goodall: Verweigerung
Verweigerung ist vielleicht ein zu starkes Wort, jedoch: Jane Goodall macht zunächst eine Ausbildung als Sekretärin und arbeitet bei einer Filmfirma. Für ein Studium fehlt der Familie das Geld. Afrika muss warten.
4. Etappe der Heldenreise von Jane Goodall: Begegnung mit dem Mentor
1957 reist Jane Goodall auf Einladung einer Schulfreundin nach Kenia. Der Anthropologe Louis Leakey, Direktor des Kenya National Museum, engagiert sie als Assistentin und wird ihr Mentor.
5. Etappe der Heldenreise von Jane Goodall: Die Schwelle überqueren
1960 geht Jane Goodall in Begleitung ihrer Mutter in das Gombe Stream Chimpanzee Reserve im Westen Tansanias. Sie erforscht das Verhalten der dort lebenden Schimpansen. Dabei entwickelt sie eine besondere Nähe zu den Tieren, gibt ihnen Namen statt, wie damals in der Forschung üblich, Nummern. Ihre erste Bekanntschaft nennt sie z.B. David Greybeard. Jane Goodall ist geduldig und lässt den Schimpansen alle Zeit, die sie brauchen, um sich an ihre Gegenwart zu gewöhnen und freiwillig ihre Nähe zu suchen.
ZWEITER AKT: VON DER FORSCHERIN ZUR AKTIVISTIN
6. Etappe der Heldenreise von Jane Goodall: Freunde, Feinde, Prüfungen
Jane beobachtet z.B., dass Schimpansen Werkzeuge verwenden und revolutioniert damit das Bild, das sich die Wissenschaft von Menschenaffen macht. Werkzeuggebrauch gilt zu dieser Zeit als ein typisch menschliches Merkmal. Später wird sie Kannibalismus und kriegerische Akte beobachten, obschon sie die Schimpansen ursprünglich als überwiegend friedlich eingestuft hat. Journalisten werden auf die junge Forscherin aufmerksam: 1963 erscheint die erste Story über Jane Goodall in National Geographic. Millionen werden auf ihre Arbeit aufmerksam. Sie heiratet den niederländischen Tierfilmer Hugo van Lawick, der sie in Afrika für ein Filmprojekt besucht. Sein Dokumentarfilm Miss Goodall and the Wild Chimpanzees macht Jane Goodall international berühmt. Es gibt auch Kritik: Forscherkollegen werfen ihr die fehlende akademische Ausbildung vor, kritisieren ihre Form der Annäherung an die Welt der Schimpansen, die sie als unwissenschaftlich einstufen.
7. Etappe der Heldenreise von Jane Goodall: Annäherung
Obwohl Jane Goodall an keiner Universität studiert hat, wird ihr aufgrund ihrer Verhaltensbeobachtungen erlaubt, in Cambridge eine Promotion zu verfassen. 1966 bekommt sie den Doktortitel verliehen. 1977 gründet sie das Jane Goodall Institute for Wildlife Research, Education and Conservation. Es macht ihren Namen und ihre wissenschaftliche Arbeit global bekannt. Viele Erkenntnisse über Schimpansen begründen sich auf Jane Goodalls wissenschaftlichen Beobachtungen. Bescheiden sagt sie: Ich wollte nie Wissenschaftlerin sein – Frauen hatten damals nicht solche Karrieren. Ich wollte Naturbeobachterin sein. Wenn meine Beine halfen, für die Schimpansen zu werben, dann war das nützlich.
8. Etappe der Heldenreise von Jane Goodall: Tod und Wiedergeburt
1986 nimmt Dr. Jane Goodall an der ersten internationalen Konferenz zum Thema Schimpansen Verstehen teil. Sie erkennt, wie sehr der Lebensraum der Schimpansen bedroht ist, und entscheidet sich, den Nationalpark zu verlassen, ihre Forschungen aufzugeben und Aktivistin zu werden. Ihr Ziel: Im größeren Maßstab zu wirken.
9. Etappe der Heldenreise von Jane Goodall: Belohnung
Durch ihre Berühmtheit und ihre Nähe nicht nur zu den Schimpansen, sondern zur Natur, kann sie schnell konkret als Aktivistin wirken. Sie arbeitet mit afrikanischen Regierungen zusammen, um einen ökologisch verträglichen Tourismus aufzubauen. Sie gibt Unterricht in Ökologie. Beginnt die Zusammenarbeit mit lokalen Verwaltungen und Forschungsinstitutionen.
DRITTER AKT: VON DER AKTIVISTIN ZUR FRIEDENS-BOTSCHAFTERIN
10. Etappe der Heldenreise von Jane Goodall: Der Weg zurück
Bei dieser Heldenreise gibt es keinen Weg zurück. Jane Goodall lebt zwar wieder in ihrem Geburtsland England bei ihrer Schwester, doch nur wenige Wochen pro Jahr. Die meiste Zeit verbringt sie auf Reisen, um Vorträge zu halten. Jane Goodall erweitert ihr Thema: globaler Umweltschutz, darum geht es. Sie sagt: Hier sind wir – die klügste Tierart, die jemals gelebt hat. Wie können wir also den einzigen Planeten zerstören, den wir haben? Ihr Ansatz: Sie gründet Anfang der 90er-Jahre mit Kindern in Tansania die Initiative Roots & Shoots. Es geht darum, dass Kinder und Jugendliche eigene Ideen und Projekte im Bereich Nachhaltigkeit, Natur- und Umweltschutz entwickeln. Mittlerweile gibt es ca. 10.000 Gruppen in 120 Ländern. Ein Riesen-Erfolg. Jane Goodall sagt: Ich bin zutiefst überzeugt, dass es unendlich wichtig ist, vor allem Kindern beizubringen, allem Leben gegenüber respektvoll zu sein. Ich glaube, die wichtigste Botschaft an die Menschheit ist, dass jedes einzelne Individuum zählt, auch jedes nicht-menschliche.
11. Etappe der Heldenreise von Jane Goodall: Letzte Verwandlung
Jane Goodall erweitert noch einmal ihren Wirkungsrahmen. 2002 wird sie zur UN-Friedensbotschafterin ernannt. Ihre spezielle Art, Vorträge zu beginnen, behält sie bei. Wenn Jane Goodall die Bühne betritt, äußert sie häufig einen Begrüßungsruf der Schimpansen. Allein diese Eigenart macht ihre Vorträge unvergesslich. Sie sagt: Ich bin 300 Tage im Jahr unterwegs. Ich spreche darüber, was wir unserem Planeten antun, wie wir die Wälder zerstören, wie wir die Ozeane, die Luft und die Flüsse verschmutzen, wie wir unsere Lebensmittel mit giftigen Chemikalien, mit Pestiziden und Herbiziden besprühen. Ich muss heute mit jungen Menschen arbeiten, um zu versuchen, neue Generationen heranzuziehen, die sich besser um diesen armen alten Planeten kümmern als wir, bevor es zu spät ist. Den Begriff Frieden legt sie aus als Frieden mit dem Planeten – aber natürlich auch untereinander.
12. Etappe der Heldenreise von Jane Goodall: Rückkehr
Jane Goodall stirbt Anfang Oktober 2025 auf einer Vortragsreise in Los Angeles im Alter von 91 Jahren. Die Welt reagiert mit tiefer Trauer und Anerkennung. Ihr Lebenswerk wird weltweit als Pionierleistung in der Verhaltensforschung und als unermüdliches Engagement für Tier- und Umweltschutz gewürdigt. Jane Goodall inspirierte Menschen weltweit mit ihren Ansprachen, Büchern, Filmen, mit ihrer Persönlichkeit, ihrem unermüdlichen Einsatz die Natur und für eine bessere Welt. Hollywood-Schauspieler Leonardo di Caprio schreibt nach ihrem Tod einen langen Post: Jahrzehntelang reiste Jane mit unermüdlicher Energie um die Welt und brachte Generationen die Wunder der Natur nahe … Sie hat Millionen dazu inspiriert, sich zu kümmern, zu handeln und zu hoffen. Sie hörte nie auf … Du bist meine Heldin.
Der Heldenreise widme ich verschiedene Beiträge in meinem Blog – ganz einfach, weil sie so ein zentrales Element für gutes Storytelling ist. Einige Beispiel: Post-it, Greta Thunberg und Steve Jobs.