Storytelling in der Wissenschaft: Ein kleines Video von Babys und Schlangen zeigt, wie sich Psychologie für alle spannend übersetzen lässt. Das Video des australischen TV-Senders ABC Science erzielte in wenigen Monaten über 2 Millionen Aufrufe. Dazu knapp 4.000 – häufig emotionale – Kommentare.
Und das läuft so ab: Babys sind sehr gut darin, den Ausdruck in den Augen und die Emotionen ihrer Eltern oder Betreuer zu lesen. Neue Situation? Das Kind checkt das Gesicht der Mutter. Alles okay? Muss ich mir Sorgen machen oder nicht? Je nachdem, was es aus dem Gesicht, dem Tonfall oder der körperlichen Reaktion abliest, reagiert es ängstlich oder, wie im Video, trotz der Schlangen entspannt.
Das Resultat für dieses Musterbeispiel für Storytelling in der Wissenschaft: In 2 Minuten und 30 lernen wir etwas über die Babys, uns selbst und über die Welt. Und wir werden diese Erkenntnis nicht wieder vergessen, weil sie eben nicht von einem Psychologen allein mit Worten in einem Fernsehinterview vermittelt wurde, sondern durch ein Szenario, das uns in die Situation bringt, uns mitfühlen lässt.
Storytelling in der Wissenschaft: 8 Learnings aus dem Video
1. Storytelling erzeugt Aufmerksamkeit
Es ist fast unmöglich, bei diesem Video wegzusehen. Dazu nutzt es eine Struktur, die Spannung erzeugt: Wie reagieren die Babys auf die Schlangen (und die Schlangen auf die Babys)? Dazu die Kommentare des Moderationsteams, das mögliche Vorbehalte und Ängste der Zuschauerinnen und Zuschauer aufgreift und von dort aus zur Auflösung / Erklärung der Entstehung des Phänomens Angst überleitet.
2. Storytelling schafft Nähe
Was wir fühlen, das sind auch unsere eigenen Ängste. Unser Unwohlsein. Die ursprüngliche Distanz zwischen Wissenschaft und Realität ist aufgehoben. Die Story zeigt an einem Beispiel, worum es geht.
3. Storytelling öffnet einen Raum für Assoziationen
Wie die vielen Kommentare unter dem Video zeigen, ruft die Schlange Assoziationen hervor, die weit über die Situation im Video hinausgehen. Assoziationen an die Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies etwa. Andere denken an Herkules, der als Kind eine Schlange erwürgte, die ihn töten wollte. Interessanter Weise finden sich kaum positive Assoziationen, etwa das Motiv der Heilung (Asklepios).
4. Storytelling klärt auf
Der Moderator erklärt die zentrale Erkenntnis, eben dass die meisten Ängst erlernt sind. Doch das ist nur die Tonspur zum Zeigen. Wenn er zu erklären beginnt, haben wir längst verstanden. Storytelling ist konkret und greifbar im Gegensatz zu einem wissenschaftlichen Aufsatz.
5. Storytelling erzeugt Resonanz
Wir beginnen zu reflektieren, woher wohl unsere eigene Angst vor Schlangen stammen mag oder generell unsere Ängste. Und wem oder was die Angst gilt. Die Story überspringt das wissenschaftliche Mindset.
6. Storytelling bewegt
Wenn die Reaktion der Eltern oder Betreuer so elementar für die Entstehung von Ängsten sein kann, dann beginnen wir, unsere eigenen Reaktionen sehr genau zu überdenken. Welche Ängste kann meine Tochter von mir erben oder geerbt haben? Plötzlich ist die Verantwortung bei mir selbst. Die Story macht das auch mich zur zentralen Figur.
7. Storytelling öffnet den Raum für Fragen
Das Video endet mit einem Cliffhanger, der Frage „Wenn Angst gelernt werden kann, können wir dann auch lernen, nicht mehr mit Angst zu reagieren?“ Die Frage wird nicht beantwortet, doch die Antwort ist klar: Natürlich können wir das lernen. Nur wie? So führt die Story zur nächsten Frage. Sie öffnet eine Tür zur nächsten Story.
8. Storytelling entzündet ein Gespräch
Die vielen Kommentare unter dem Video zeigen, wie sehr sich die Zuschauer mit dem Thema auseinandersetzen. Hier reden keine Wissenschaftler mit Wissenschaftlern. Psychologen unter sich? Von wegen. Storytelling erreicht ein viel breiteres Publikum auf nachhaltige Art.
Plus: ein zweites Video
Es gibt noch ein zweites Video über Höhenangst. Wieder Babys. Sie sitzen in einer Art Sandkiste mit Glasboden. Da ist die optische Illusion eines Cliffs, die Babies robben bis zur Kante, aber keinen Zentimeter weiter. Das ist keine erlernte, sondern eher eine angeborene Angst. Das Video ist vom Storytelling eindrucksvoll, doch von der Spannung her weit hinter dem Video mit den Schlangen.
Storytelling in der Wissenschaft: Das sagen die Zuschauer
- Not gonna let my kid near one like this no matter how much you pay me or even if Im at death’s door. I rather take the risk than a child. Doesn’t matter even if the child’s not mine. This is crazy!
Baby thought process: „Is mum or dad afraid?“ „Can I touch it?“ „Can I eat it?“