Wofür braucht ein Mittelstands-Consultant Storytelling? Ein Interview mit Markus Brandstetter zum Thema Beratung bei Finanzierungen und der Kunst, gute Geschichten zu erzählen. Markus ist zugleich der Autor eines spannenden Sachbuchs, das auf Storytelling setzt: Ich kann Kredit: Keine Angst vor Kreditsicherheiten.

Wofür braucht ein Finanzexperte Storytelling?

Mit Geschichten kann ich Laien komplizierte Sachverhalte verständlich erklären.

Sollte ich als Ihr Kunde nicht eher skeptisch sein, wenn Sie mir eine Story erzählen anstatt mir die Fakten zu erklären?

Nein, ganz im Gegenteil: Wer komplexe Sachverhalte einfach, allgemeinverständlich und in Form von guten Geschichten erklären kann, der muß diese um so besser verstanden haben. Komplizierte Dinge kompliziert ausdrücken können viele – am besten Jürgen Habermas.

Metaphern und Vergleiche bringen gute Geschichten auf den Punkt

Ist Storytelling so eine Art Übersetzung für Sie?

Genau. Ich übersetze abstrakte Dinge, denen man das Leben ausgetrieben hat, zurück ins echte Leben.

Wie gelingt es Ihnen, komplexe Verordnungen oder Gesetze in eine Story zu übersetzen?

Ich lege das Gerüst oder Skelett einer Fragestellung frei. Und darum herum stricke ich dann eine Geschichte, wobei mir meine Erfahrung aus hunderten von Beratungsfällen natürlich hilft.

Erzählen Sie doch mal so eine Story!

Aber gerne: Nennen wir die beiden Nadine und Emil Oberhuber. Die Oberhubers haben sich vor ein paar Jahren für 500.000 Euro ein Haus in den Bergen gekauft, dann haben sie ein paar Jahre darin gewohnt, dann hat die Nadine im Internet einen anderen Mann kennengelernt, was erst zu Spannungen, dann zu tiefliegenden Tellern und kurz danach zu Geheul und Geschrei und endlich zur Scheidung geführt hat.

Diese ganze Geschichte hat den Emil erst tief verletzt und dann krank gemacht und ihn schließlich so weit gebracht, daß er Häuser im alpenländischen Stil mit Riesenbalkonen und Geranien davor nicht mehr mag. Also schmeißt er seinen Job hin, zieht nach München, haust in einer Einzimmerwohnung und zahlt keinen Cent des Darlehens mehr an die Bank zurück.

Irgendwann läßt die Bank das Haus versteigern, aber das dauert, also geht sie mit dem Gerichtsvollzieher auch gegen Nadine vor, weil die noch einen Job hat und Geld verdient, während Emil auf Hartz-IV-Niveau herumkrebst, an der Ramersdorfer Tafel einkauft und oft nicht weiß, wie er Miete, Benzin und Handy bezahlen soll.

Mir fallen Storys einfach ein

Und jetzt ist es so: Weil Nadine eine Grundschuld mitunterschrieben hat, in der steht: Mehrere Schuldner haften als Gesamtschuldner, muß sie sich jetzt das Konto pfänden lassen und ihr Wertpapierdepot an die Bank herausgeben. Denn Nadine wird jetzt ganz allein für sämtliche Forderungen der Raiffeisenbank geradestehen müssen – obwohl sie inzwischen geschieden ist; obwohl das Haus, das inzwischen versteigert ist, ihr nur zur Hälfte gehört hat; und obwohl sie nur eine Mithaftung übernommen hat. Nur erstreckt sich diese Mithaftung eben auf die gesamte Schuld.

Im Fall der Oberhubers wäre es für beide besser gewesen, sie hätten beim Kreditgespräch den Satz: Mehrere Schuldner haften als Gesamtschuldner durch den Ausdruck: Beide Schuldner haften jeweils hälftig ersetzen lassen. Aber hinterher ist man natürlich immer klüger.

Welche Rolle spielen Metaphern und Vergleiche? Ich erinnere mich an das Wort „Atombombe“ in Ihrem Buch. 

Metaphern und Vergleiche bringen gute Geschichten auf den Punkt und bleiben dem Leser im Gedächtnis. Ich schreibe, genau wie Sie sagen, daß eine Grundschuld mit weiter Zweckerklärung, die doch jeder Häuslebauer in seinem Leben unterschreibt, die Atombombe unter den Kreditsicherheiten darstellt. Warum? Nur so kapiert der Leser, daß eine juristische Klausel, die sich volkommen harmlos anhört, ihn im Katastrophenfall um Haus und Hof bringen kann.

Wie reagieren Ihre Zuhörer auf die Storys?

Der einzige Mensch, von dem ich bislang eine Rückmeldung habe, ist der Rechtsanwalt, der mich in juristischen Fragen beraten hat. Der war richtig verblüfft, daß es mir gelungen ist, ein so sperriges, großes und selbst für Juristen schwieriges Thema so allgemeinverständlich darzustellen. Der hat zu mir gesagt: Das ist ein Buch, das jeder Jurist lesen sollte.

Ansonsten sehe ich, daß sich mein Buch einigermaßen verkauft und auf Amazon bei kindleunlimited oft ausgeliehen wird.

Fallgeschichten enthalten oft richtig spannende Storys

Wie sind Sie darauf gekommen, Storytelling einzusetzen?

Einmal konnte ich mündlich immer schon gute Geschichten erzählen. Zweitens bearbeitet man im MBA-Studium Cases, also Fallgeschichten, die oft eine richtig spannende Story enthalten. Später habe ich dann für eine bekannte Stiftung im Rahmen interkultureller Seminare Fallstudien über Geschäfte mit Chinesen geschrieben, ich bin ja auch Sinologe. Diese Fälle haben die Teilnehmer richtig gerne gelesen und gelöst.

Wo haben Sie Storytelling gelernt?

Zuerst einmal durch Märchen, Sagen und die Bücher, die ich als Kind gehört und gelesen habe.

Dann durch die Lektüre großer Schriftsteller. Homer, Goethe (zumindest im Faust) Tolstoi, Dostojewski, Flaubert, Kleist, Dumas (Père), Walter Scott, Arthur Schnitzler, Josef Roth, Lu Xun, Kafka, F. Scott Fitzgerald, Eiji Yoshikawa, Graham Greene, Endo Shusaku, Milan Kundera, Stanislaw Lem oder Umberto Eco gehören zu den größten Geschichtenerzählern überhaupt.

Auch von einigen Krimi- und Thriller Autoren habe ich viel gelernt: Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Georges Simenon – und ganz besonders Eric Ambler.

Gute Sachbücher darf man auch nicht vergessen: F.A. Hayek („The Road to Serfdom“), Georges Duby („Krieger und Bauern“), Berger/Luckmann („Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit“), Walter Bonatti („Die Berge meines Lebens“), Richard Dawkins („The Selfish Gene“), Jon Krakauer („Into Thin Air“), Florian Freistetter („Die Neuentdeckung des Himmels“) oder ganz aktuell Henry Marsh („Do no Harm“).

Ich habe die meisten Schreibratgeber gelesen, aber wirklich genützt haben mir nur Sol Stein („Stein on Writing“) und der leider fast unbekannte Robert Bahr („Spannender schreiben – Dramentechnik für Prosatexte“).

Ich habe die meisten Schreibratgeber gelesen, aber wirklich genützt haben mir nur zwei

Wie gehen Sie vor, wenn Sie eine Story bauen?

Mir fallen Storys einfach ein. Wenn ich den Geschirrspüler ausräume, mit dem Rad durch den Wald fahre oder den Rasen mähe. Ist der Kern der Geschichte aber einmal vorhanden, dann feile ich nach bewährten Prinzipien (z.B. Dreiaktstruktur) daran – so lange, bis die Story steht.

Folgen weitere Ratgeber aus Ihrer Feder?

Bestimmt. Ich weiß jetzt, wie man Sachbücher schreibt. Es hat nämlich eine Zeitlang gedauert, bis ich diese Mischung aus lockerem Erzählton und faktischer Sachlichkeit richtig draufhatte. Wenn man das aber einmal kann, dann könnte man noch ganz andere Bücher schreiben. Mir fallen Bücher über Vermieten („How to Really Screw your Tenant“), Verkaufen oder den Umgang mit Handwerkern ein.

Warum erscheint Ihr Buch eigentlich nicht bei einem Verlag?

Zuerst einmal wollte ich einfach nur publizieren. Das klappt als Selfpublisher bei Amazon ganz wunderbar. Ich hätte schon gerne einen Verlag und habe da auch schon einen im Auge, aber da muß ich erst noch aufschlagen und dann reüssieren. Ob das klappt, noch dazu mit meinem so ganz andersartigen Konzept, weiß ich noch nicht.